Seelenasche
Eindrücke von diesem konfusen Abend bei Toschev waren, sei es, um ihn zu warnen. Aber ⦠wovor warnen? Die Verblüffung über ihre innere Stimme wollte nicht enden.
An der Grundstücksmauer bog Christo scharf ab, das schmiedeeiserne Tor öffnete sich automatisch, und der Audi glitt in den Innenhof. Als er die Scheinwerfer ausschaltete, sah man, wie der Mond alles in Silberlicht tauchte, den kurzgeschnittenen Rasen, die exotischen Sträucher um die Terrasse, die Blumen. Das Haus selbst sah jetzt, im Vergleich mit demjenigen Eduard Toschevs, geradezu bescheiden und einladend aus, menschlich, und das erleichterte und beruhigte ihn. Sie wurden auch nicht von einem Butler empfangen, denn es gab keinen. Sie gingen direkt ins Wohnzimmer. Anstelle der Deckenbeleuchtung schaltete Christo die Tischlampen in den Ecken ein, die den Raum in ein anheimelndes Licht tauchten. Einige der Gemälde, die an den Wänden hingen, kannte Dessislava, denn sie hatte sie mit ausgesucht. Christo lief los, um Whisky und Gläser zu holen, stolperte über die Teppichkante, fing sich aber wieder. Als er alles auf den Tisch stellte, sagte Dessislava:
»Dein Haus ist doch klasse.«
»Ich kann es noch gar nicht glauben, Dess, dass du hier bist.«
»Gefällt mir. Wohnlich. Ist nicht alles einfach nur, weil es teuer, modern, der letzte Schrei oder kostbar ist, sondern zum Wohnen da.«
»Meinst du?«
»Na klar. Das Licht ärgert einen nicht, sondern harmoniert schön mit dem Dunkel, es ist weich und anheimelnd. Da fühlt man sich wohl als Frau.«
»⦠sich wohl als Frau? Dabei hätte ich im Traum nicht gewagt â¦Â«
»Was?«
»Dich hierher einzuladen.«
Eine neue Angstattacke. Dessislava hatte das Gefühl, die Angst sei körperlich anwesend, sitze zwischen ihnen, hebe ironisch das Glas auf sie. Sie fand auch, dass Christo in diesem von einer drei Meter hohen Mauer umgebenen Haus viel stärker Gefahren ausgesetzt und viel verwundbarer war als in der elterlichen Wohnung hinter der Kirche Siebenheiligen. Dieses nicht eben kleine Wohnzimmer mit den offenen Natursteintreppen ins obere und untere Geschoss hatte bei aller Gemütlichkeit auch etwas von einer Gruft. Dessislava trank einen Schluck von dem guten Whisky; aber auch dessen rauchig-herber, intensiver Geschmack nahm ihr die Angst nicht, sondern machte sie nur betrunken. Sie begann zu zittern, die Angst steigerte sich zur Panik, einer ungreifbaren, aber mächtigen Beklemmung, die zuerst ihre Kehle, dann ihre Brust zusammenpresste. Unerfindlich, warum, wuchs zugleich ihre Sehnsucht, Christo zu verteidigen, ihn vor einer heraufziehenden Gefahr zu bewahren, ihn in ihrer Schwäche zu bergen, zu verstecken.
»Könntest du dir auch vorstellen, hier zu wohnen?«, fragte Christo tastend.
»Kommt drauf an.« Ihre Zähne klapperten, es war der reinste Horror.
»Und worauf?«
Dessislava schaute hinaus in den flimmernden Sternenhimmel, seine funkelnde Stille. Ihr wurde flau, die Angst unerträglich. Leise fragte sie:
»Wie viele Leute bewachen dich hier?«
»Bitte, was?«
»Na, nachts â wie viele Leute bewachen dich da?«
»Eh, ein Leut«, erwiderte er überrascht. »Der sitzt da im Häuschen am Tor.«
»Versprich mir«, klammerte Dessislava beide Hände um ihr schweres Kristallglas, als könne sie sich daran festhalten, »bitte versprich mir, dass ab morgen mindestens zwei Leute nachts dableiben.«
»Hier kann doch keiner unbemerkt eindringen«, lächelte Christo, »die ganze AuÃenmauer wird videoüberwacht.«
Seine Worte glitten an ihr ab, als hätte er gar nichts gesagt. Ja, gerade in diesem festungsgleichen Domizil spürte Dessislava, wie schutzlos Christo eigentlich war, wie labil und gefährdet.
»Du musst es mir versprechen, weil ich sonst â¦Â«
Sie konnte nicht weitersprechen. Tränen liefen ihr aus den Augen, bis sie sich beinahe daran verschluckte; sie war kurz davor, in lautes Schluchzen auszubrechen. Dann entfuhr ihr: »Mariana ⦠diese Mariana Ilieva ist schrecklich verliebt in dich.«
»Ach Quatsch!« Christo lachte, aber wenig überzeugend.
»Ich bin mir ganz sicher. Und vor allem: Eduard Toschev weià es!«
»In Gottes Namen, wie kommst du darauf?«
»Sie konnte dir nicht offen in die Augen schauen.«
Christo kippte seinen Whisky in einem Zug weg, taumelte, klammerte sich
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