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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Sofia etwas Irreales, Mystisches. Die Luft roch nach auskühlendem Asphalt und nach Abgasen, die Lichtkegel der Neonlampen standen still und käsebleich über ihnen wie die Gesichter von Toten. Die Entbindungsklinik lag nur wenige Minuten von ihnen entfernt, aber Jordan fuhr wie von der Tarantel gestochen. Es war ein reines Wunder, dass er keinen Unfall baute. Dida wurde sofort aufgenommen und auf eine Rollpritsche verfrachtet. Sie drehte den Kopf weg, als sei Jordan gar nicht da oder ein völlig Unbekannter, dabei stand er neben der Liege, bis sie von Schwestern in hellblauen Kitteln hinausgeschoben wurde und hinter den Milchglasscheiben des Kreißsaals verschwand. Er ließ sich auf die harte Holzbank fallen und wartete. Von drinnen erklang ein markerschütternder Schrei, aber … nein, das war nicht Dida. Ihm brach der Schweiß aus. Irgendwann döste er weg. Frühmorgens wurde er von der Reinemachefrau geweckt, einer schönen Zigeunerin mit blauen Augen, die mit einer lässig im Mundwinkel hängenden Zigarette den Flur wischte. Schließlich kam eine beleibte Schwester durch die Milchglastür und teilte ihm mit, es sei ein Mädchen. »Erstaunlich, ein Siebenmonatskind, aber alles ist wunderbar proportioniert.«
    Als er das Neugeborene sah, lächelte es. Seine Lippen waren schön konturiert, die Fingerchen und Zehen fein, die Wimpern lang. Sie gaben dem Kind den Namen Jona, nach Jonka, der Großtante Jordans, die all die Jahre den Platz der Großmutter eingenommen hatte. Das Kind hatte sogar etwas von ihrem versonnenen Lächeln, bei dem die Augen verschleiert und nicht-sehend schienen, weil sie ins Innere schauten, wo das Verstehen sich ereignet, das große Geheimnis des Verstehens. Die Kleine hatte einen so gesegneten Appetit, dass sie nach zwei Monaten schon schwerer und entwickelter war, als wenn sie da erst auf die Welt gekommen wäre.
12
    Ihre Abreise in die süddeutsche Stadt Bamberg kam so unerwartet, dass Jordan gar nicht richtig begriff, was seine große Tochter dort eigentlich vorhatte. Den Verdacht, dass sie Platz machen wollte an seiner Seite für Dida und die kleine Jona, bestritt sie mit den Worten:
    Â»So abgefuckt bin ich nicht, dass ich abhaue, um euch eins reinzuwürgen, mich zu rächen und euch ein schlechtes Gewissen zu machen. Nee, ich bin einfach erwachsen geworden, und es ist an der Zeit, dass ich gehe. Wenn ich Glück habe, finde ich in Bamberg ja in einem Mädchen namens Jana endlich mal eine gute Freundin.«
    Â»Ja, okay«, meldete sich Dessislava verdutzt, »aber wie kommst du gerade auf Bamberg?«
    Â»Teddy hat mich draufgebracht?«
    Â»Wer ist Teddy?«
    Â»Teddy studiert da Theologie, seine Cousine ist in Bamberg mit ’nem Bulgaren verheiratet, der gegenüber dem Haus, wo Hegel gewohnt hat, ein italienisches Restaurant betreibt. Teddy hat gesagt, da kann ich kellnern und mir meinen Lebensunterhalt verdienen.«
    Dessislava wusste zwar immer noch nicht, wer Teddy war, aber dafür erfuhr sie nun, was für eine wunderschöne mittelalterliche Stadt Bamberg war, mit einer wirklich alten Altstadt auf den Flussinseln in der Regnitz und den Kathedralen und Stadterweiterungen auf den umliegenden Hügeln. Pausenlos läute dort irgendeine Glocke, erzählte Jana begeistert, auf der Regnitz schwämmen wilde Enten und Schwäne, die die Leute auf ihren Spaziergängen mit altem Brot fütterten. Dann auf einmal musste sie weinen, als sie sagte: »Ich hab das Gefühl, ich bin eigentlich schon lange weg, und muss nur noch meine Hülle verfrachten, aber mein Inneres wartet in Bamberg sehnsüchtig auf mich.«
    Wie sich herausstellte, hatte sie ihre Pläne bereits jemandem gebeichtet, ihrem Großvater Assen nämlich. Der hatte ihr ohne zu zögern seine Ersparnisse gegeben, damit sie reisen, sich eine Bude mieten, die Studiengebühr bezahlen und die erste Zeit überstehen konnte.
    Â»Aber wer dieser Teddy ist, weiß ich immer noch nicht«, beharrte Dessislava.
    Â»Oh, der, das ist’n totaler Freak, unheimlich lustig, aber ein Idealist und so, der glaubt echt an Gott … und an mich auch.«
    Auf einmal ging ein großes Gelaufe los, alle redeten gleichzeitig, und keiner hörte dem anderen zu. Sogar Dida wurde munter. Ihre Wangen röteten sich und sie hörte auf, sich vor den Ecken und vor ihrem Spiegelbild zu fürchten. Nur Jordan blieb nachdenklich und

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