Seelenasche
eingehüllt ins Badehandtuch, ins Wohnzimmer zurückkehrte, weinte sie, aber da sie ihr Gesicht nicht abgetrocknet hatte, merkte Christo es im Halbdunkel nicht. Er hatte sich Whisky nachgegossen und rauchte. Sie konnte es förmlich riechen, wie er sich schämte. Sein Schweià roch nach Deodorant, Ungeduld und der Angst, die Frau im Badehandtuch enttäuschen zu können, die seine Phantasie, sein Begehren so viele Jahre angefacht hatte, und die er so ungestüm verehrt, ja, vergöttert hatte. Dann umklammerten sich sein Schamgefühl und ihres und erfüllten die Luft mit Untröstlichkeit.
Sie kuschelte sich an Christo, doch was sie ihm vermittelte, war nur Unsicherheit. Sein Begehren, vielmehr sein Träumen von ihr , seine Vergötterung für sie waren derart mächtig und schmerzlich und dabei in solchem Konflikt mit seinen Schamgefühlen, dass er groÃe Probleme mit der Erregung hatte. Der Sexualtrieb will Eroberung, Objektbesetzung, ist ein archaischer, primitiver Hunger nach Ãberlegenheit, nach Macht, der sich in der Phantasie spiegelt, in ein lustvoll-narzisstisches Spiel verwandelt und von dort als Sinnlichkeit wieder zurückkehrt in den Körper als Hingabe bis zum Selbstvergessen. Dessislava aber vergaà sich nicht, geriet nicht in Sinnenrausch, sondern fuhr fort zu denken. Auch Christo konnte seine Gedanken nicht anhalten, während er rührend hilflos, als sei er gänzlich unerfahren, in ihr stocherte und vor lauter Aufregung viel zu schnell kam und ⦠erschlaffte. Er analysierte, suchte nach Gründen für seine plötzliche Schwäche nach so vielen Jahren heillosen Begehrens. Dessislava wurde in diesem Moment klar, dass trotz ihrer tiefen Liebe, der sie so viele Jahre nicht nachgegeben hatten, oder nein: gerade wegen dieser unentwegten Vertagung ihr Sexualleben immer schlecht bleiben würde, weil sie vor lauter gegenseitiger Anbetung ihre Unmittelbarkeit und Natürlichkeit verloren hatten. Darum schämte sie sich auch so ihrer körperlichen Unvollkommenheiten. Sex lebte von den unbewussten Energien, von Selbstvergessen und der Lust, sich zu nehmen, was man begehrte; sie beide aber vergaÃen nichts, fuhren fort, über all die versäumte Nähe nachzudenken, und das machte sie unsicher und ängstlich.
»Zum Teufel auch«, stöhnte Christo schlieÃlich, »ich verstehe das nicht, ich, das ⦠das ist mir noch nie passiert!«
Dessislava wischte sich die Tränen ab und lieà sich fallen in seine unsichere Umarmung. Doch seltsam: Statt zerknirscht zu sein über den ausbleibenden Rausch, die fehlende Kulmination, das selige Abklingen der Raserei, war sie wie befreit und merkte, dass sie vielleicht nie im Leben glücklicher gewesen war als jetzt. Geradezu erschreckend glücklich.
»Mein Liebster«, flüsterte sie und atmete seinen Geruch tief ein, »mein Liebster und Einziger.«
10
»Einen Kaffee haben Sie bekommen?«, fragte Eduard Toschev ihn mit kühler, kantiger Stimme.
»Ja, von Ihrer Chefsekretärin«, nickte Jordan.
In dem nervösen, fast feindseligen Schweigen, das nun folgte, waren Toschevs Augen bleigrau und schwer auf ihn gerichtet, sahen aber durch ihn hindurch. Jordan konnte nicht aufhören, sich zu wundern über die Fähigkeit dieses Mannes, immer höchst konzentriert auf die Sache zu sein, aber nur zerstreute Aufmerksamkeit für seinen Gast übrig zu haben, so als denke er immer an mehrere Dinge gleichzeitig, als führe er ein schwierig zu managendes Doppelleben oder sei bedacht, etwas höchst Kompromittierendes vor seinem Gesprächspartner geheim zu halten. Gleich würde Toschev ihn wieder fragen, ob er schon einen Kaffee bekommen habe. Aber erst einmal lieà er sein silbernes Feuerzeug aufschnappen, führte es an die Zigarrenspitze, paffte, lieà nach erfolgreicher Zündung einige Rauchkringel in die Luft und wandte sich an seinen Gast:
»Ich habe Sie unterbrochen, bitte entschuldigen Sie. Ich höre.«
Vor einigen Tagen hatte Jordan im Dritten Bulgarischen Fernsehen ein Konzert mit sogenannter Popfolk-Musik gesehen, das aus einem Stadion übertragen wurde. Die Bühne war pompös aufgemacht und grell erleuchtet, die Interpreten, meist weibliche Wesen in knappen Textilien, traten nacheinander auf. Mit make-up-gestütztem Strahlefraulächeln und silikongefüllten Brüsten, nackten Schenkeln und lasziven Hüftbewegungen
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