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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Apparates erschien, er trank erst mal in Ruhe seinen Kornkaffee und machte sich dann ohne Eile auf den Weg zu seiner Kanzlei. Als er den Safe aufschloss, dachte er kurz, was für ein Glück, dass der feuersicher ist, und holte die Dokumente heraus, obwohl er die Klauseln des Vertrags mit der Versicherungsgesellschaft auswendig kannte. Mit einer eingezahlten Versicherungssumme von 64.500 Euro hatte Krum Krumov seine Fabrik gegen Erdbeben, Feuer, Überschwemmung und andere Naturkatastrophen versichert und sollte im eingetretenen Schadensfall 1.500.000 Euro erhalten.
    Das also war, dachte Schuschulkov, der Hintersinn der scheinbaren Dummheit seines Mandanten. Er verhielt seinen Schritt, um nicht in Versuchung zu kommen, seinen Gedanken zu Ende zu denken. Er murmelte manchmal vor sich hin beim Denken und hatte Angst, dass ihn jemand belauschen könnte. Er lenkte seine Gedanken in frühere Zeiten. Ja, das hätte er früher tun sollen, dann wäre er vielleicht selbst draufgekommen: Das war doch typisch für diese Weltschev-Sippe! Krum Krumovs Großvater Ilija Weltschev hatte sich auf demselben Wege Startkapital verschafft, indem er den Fuhrmannsgasthof, den sein ältester Bruder Jordan erbaut hatte, in Flammen aufgehen ließ, ein gewaltiges Ereignis, ein Schauspiel, von dem in der Stadt noch lange gesprochen worden war. Ein Fanal war es auch deshalb gewesen, weil ein Bulgare niemals zerstörte, was er selbst besaß, ganz gleich, ob ererbt, erworben oder selbst erbaut. Er hätte allerdings nicht im Traum vermutet, dass der gutmütig wirkende Krum Krumov fähig sein könnte, sich an dem, was er hatte, zu vergreifen für die ungewisse Aussicht auf Entschädigung. Krum selbst wusste übrigens nichts von der Brandstiftung seines Großvaters. In seinem Elternhaus wurde ja über den bürgerlichen Großvater nicht gesprochen. Mehr noch, ihm war auch nicht gesagt worden, dass sein Vater der uneheliche Sohn des Fabrikanten Ilija Weltschev war. Wie doch die Dinge sich glichen, räsonnierte Schuschulkov, selbst wenn sie auf den ersten Blick verschieden waren. Wie war das nur möglich? Er erhob sich vom Schreibtisch und verschloss die Unterlagen wieder sicher in seinem Safe.
    Während dem alten Anwalt der beißende Geruch verglimmter Kohle in die Nase stieg, nach versengten Stoffen aller Art, kam Krum Krumov ins Krankenhaus. Es hatte begonnen mit einem atavistischen Heißhunger auf Fleisch. Es aß ihn Fleisch, es trank ihn Fleisch. Dann holte ihn ein Herzanfall von den Beinen, der so schmerzhaft war wie ein Infarkt. Gergina wich nicht von seinem Krankenbett. Sie trug jenes weite, ihre Weiblichkeit kaschierende karierte Kleid, in dem sie mager wirkte, männlich und unansehnlich.
    Â»Willst du dich nicht mal ausruhen gehen«, sagte Krum am dritten Tag mit brüchiger Stimme.
    Â»Oh, ich habe so viele Jahre gewartet, sollen jetzt drei Tage mich ermüden?«
    So wenig wie der Tod des alten Krum Marijkin den Widinern bemerkens- und erinnernswert erschienen war, so wenig beschäftigte nun der Tod der Porzellanfabrik ihre Gemüter. Deren Überreste lösten sich im Regen auf und wurden langsam, aber gründlich von der Donau ins Vergessen gespült. Der Anblick von Ruinen war in diesen Jahren zu einer Alltäglichkeit geworden und regte niemanden mehr auf. Es war auch keine Zerstörung der Art, die – geladen mit der Energie der Liebe und des Willens – auf baldigen Neubau hindeutet und somit Stoff für Anekdoten und Legenden, kurz: für Wort und Gedächtnis bietet, sondern einfach: Zerfall und Vergängnis.
25
    An einem wolkenverhangenen Herbsttag ging Krum, eingehüllt in einen weiten, warmen Mantel, den er sich als Student gekauft hatte, zu Pawel Tscholev. Als er im Vorzimmer anklopfte, zuckte Zezi derart erschrocken zusammen, dass sie instinktiv versuchte, ihre nackten Schenkel mit dem bisschen Rock zu bedecken, das sie trug.
    Â»Ja, aber …«, entfuhr ihr verdattert.
    Â»Richtig kalt draußen«, sagte Krum.
    Â»Sie?«
    Â»Ohne warmen Mantel sollte man nicht vor die Tür gehen«, fuhr Krum fort. »Ist der Chef da?«
    Â»Pavka, äh, der Chef ist völlig, also ganz und gar, ja, er ist hier. Aber was machen Sie … wäre es nicht besser, dass Sie … ich meine …«
    Krum ging auf die Tür zu, hinter der das geräumige Büro seines ehemaligen Mitschülers lag, klopfte zaghaft, dann drückte

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