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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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den Zucker für Ihren Kaffee vergessen!«
    Â»Machen Sie sich keine Umstände, mein Fräulein«, erwiderte der Kavalier alter Schule, dessen ganzer Körper bei jeder Bewegung knarrte wie ein alter Kleiderschrank im Durchzug.
    Das erste Mal, als er mit seiner ganzen altersschwachen und doch irgendwie Respekt heischenden Würde vor ihr gestanden und in akkurat aufgereihten Worten erläutert hatte, was der Anlass seines Vorsprechens war, bekam die Angestellte vor Überraschung Schluckauf.
    Â»Herr Schuschulkov, sind Sie sich auch darüber im Klaren, was Sie vorhaben?«, hatte die Frau ihn gefragt, bemüht, ihre Freude, ihren inneren Jubel über den fetten Abschluss zu verbergen.
    Â»Oh, was die Sicherheitsstrategie meines verehrten Mandanten betrifft, so sehe ich mich in der Pflicht, seine ausdrückliche Willensbekundung juristisch zu qualifizieren, ihr sozusagen das seine Rechte schützende und garantierende Kleid überzuwerfen. Denn, mein verehrtes Fräulein, die Form ist der unschätzbarste Teil jedes Inhalts, die Form ist der maßgeschneiderte Anzug jedes juristischen Vorgangs.«
    Für alle Fälle bat das so verehrte Fräulein den Filialleiter noch hinzu. Als dieser hörte, was der neue Besitzer der Porzellanfabrik Widin, ein gewisser Krum Krumov Marijkin, wollte, dachte er, ihn träte ein Pferd; doch er beherrschte sich rasch und kniff seine junge Angestellte aufmunternd in den Po.
    Â»Ja selbstverständlich, Herr Schuschulkov«, liebedienerte er, »wo denken Sie hin? Ich verstehe Ihren Mandanten ausgezeichnet und begrüße ihn zu seinem Entschluss. Sicherheit muss über allem stehen, das ist auch unsere Devise!«
    Wäre Schuschulkov einer dieser jungen, windigen und wendigen Anwälte gewesen, hätte sein Anzug nicht so gute-biedere-alte-Zeit-mäßig nach Mottenpulver gestunken, und hätte nicht seine Gebissprothese so herzig unbedarft bei jedem Wort in seiner Mundhöhle geklappert, wäre der Versicherungsmann mit Sicherheit skeptisch geworden und hätte sich gefragt, welche betrügerische Absicht hinter der ganzen Geschichte steckte. Doch diese Alterschwäche und Blässe, diese senile Überkorrektheit, gepaart mit dem dezenten Lächeln des Anständigen, zerstreuten jeden Verdacht. Hier war einer offensichtlich ganz einfach dumm, und Dummheit beruhigt und weckt Vertrauen.
    Nach zehn Tagen waren alle vertraglichen Details ausgehandelt, und Krum Krumov brauchte nur noch persönlich in den Räumen der Versicherungsgesellschaft zu erscheinen, um das Dokument zu unterzeichnen, am selben Tisch im Erdgeschoss, an dem auch Schuschulkov gesessen hatte, denn dieser hatte keine Kraft, die Treppen zum Büro des Zweigstellendirektors hochzusteigen. Im marmorverkleideten Schalterraum trat Grabesstille ein. Die weiblichen Angestellten riskierten durchs Panzerglas einen neugierigen Blick voll gespielter Gleichgültigkeit auf die Szene am kleinen Tisch in der Warteecke, um einmal sagen zu können, sie seien Zeuge gewesen, wie ein hohlköpfiger Bauerntrampel, der sein Eigentum restituiert bekommen hatte, sich bei erster Gelegenheit in den Ruin stürzte. Ja, das Unglück anderer ist ein anziehendes, verlockendes Schauspiel!
    In diesen dramatischen vierzehn Tagen gelang es Krum aber nicht nur, seine ganze Zukunft an den berühmten seidenen Faden zu hängen, sondern auch, Gergina Weleva zu heiraten. Als Trauzeugen wollte er den uralten Freund seines Vaters, den Lehrer Koitschev, bestellen, aber der sagte ab, weil es ihm finanziell so schlecht ginge, dass er kein Geschenk kaufen könne. Aber das sagte er nicht. Sondern er sagte mit komischem Stolz in der Stimme, als habe er ein Gemälde von Weltrang ersteigert:
    Â»Ich habe die Influenza , mein Junge. Würde dich und die Braut nur anstecken.«
    So kam es, dass am Ende Anwalt Schuschulkov von Krums Seite und Freundin Dora von Gerginas Seite Trauzeugen wurden. Mit Dora war Krums Braut seit Schulzeiten befreundet, eine mollige, angenehm aussehende Person, die einem mit ihrer Schwatzhaftigkeit aber den letzten Nerv rauben konnte. Pausenlos wiederholte sie Floskeln wie: »Nein, das ist ja unglaublich!« oder »Aber nicht doch, ich bitte euch!« Sie flirtete mit allem, was männlich war, vom Standesbeamten angefangen bis zum alten Schuschulkov, ja, sogar ganz dezent mit dem werdenden Ehemann Krum. Der alte Anwalt trug denselben »guten« Anzug aus

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