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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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englischem Stoff, der mit seinen breiten Revers nach über zwei Jahrzehnten langsam wieder in Mode kam, und er hatte bei der Zeremonie dieselben arthritischen Gelenkschmerzen wie immer. Er schenkte Gergina eine kostbare, edel gearbeitete Perlenbrosche aus Weißgold, die seine Frau einst von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte, die sie im Jahre des Herrn 1924 von einer Wien-Reise mitgebracht hatte. Außer ihnen wohnte nur Krums Mutter Newena der Trauung bei, die ihre Freude aber nicht auszudrücken vermochte, sondern die ganze Zeit wirkte wie ein schlafender Mensch, der etwas sehr Schönes träumt. Nach einem Umtrunk in der Bar des ehemaligen Balkantourist-Komplexes gingen sie in der Abenddämmerung gegen sechs Uhr ins Schiffsrestaurant . Der Mond beschien den Fluss; seine Oberfläche schimmerte bleiern. Krum hatte einen Tisch an Deck reserviert, aber dort war es so empfindlich kühl, dass sie hineingingen. Drinnen war es verraucht und überfüllt. Die Kellnerin brachte eine Vase für den Brautstrauß aus Chrysanthemen. Sie aßen bulgarischen Bauernsalat, dann ließen sie eine große Grillplatte kommen. Dazu tranken sie Wein, der schmeckte, als sei er mit medizinischem Alkohol und Wasser gestreckt worden, und als das Dessert und der Kaffee kamen, lief schon zum zweiten Mal An der schönen blauen Donau . Der Kaffee war dünn, die Himbeertorte trocken und mit billiger Marmelade gemacht. Dora war sichtlich enttäuscht von diesem unansehnlichen Hochzeitsschmaus, drehte Gerginas Tasse auf der Untertasse um und bekreuzigte sie, um anschließend aus dem Kaffeesatz zu lesen.
    Â»Nein, das ist ja unglaublich«, begann sie verschwörerisch, »ich sehe vier Kinder! Na, also Herr Marijkin«, schwenkte sie neckisch tadelnd den Zeigefinger, »Sie sind mir ja ein ganz Aktiver!«
23
    Newena hatte den Brautleuten ein Stengelchen getrocknete Minze ins Ehebett getan, damit es schön duftete; es roch auch kühl nach frischen Laken und – Befangenheit. Die Frischvermählten zogen sich zögernd und mit dem Rücken zueinander aus. Als Krum seine Frau endlich nackt erblickte, wurde ihm auf einmal klar, was für eine erregende Figur sie hatte. Er berührte sie mit den Fingerspitzen. Ihr Leib glühte, unüberschaubar und ungelehrt wie die Natur. Ihr erster Beischlaf war kurz, aber erfüllend. Gergina biss ihn vor Erregung in die Schulter; schließlich schmiegte sie sich entspannt an seine Brust.
    Â»Wie lange hab ich auf dich gewartet, Krum Krumov, Herrgott, wie lange bloß«, sagte sie beinahe tadelnd. Und in einem Ton, als murmle sie eine Beschwörung, vollendete sie ihren Satz: »Jetzt, wo du endlich da bist, werde ich – hörst du? – werde ich immer auf dich warten.«
24
    Als die Porzellanfabrik in Flammen aufging, war es Mitternacht, Geisterstunde, Zeit für Einbrecher und mystische Naturvorgänge, und es war genau vierzehn Tage nach dem alles entscheidenden Treffen Krum Krumovs mit Pawel Tscholev in dessen Büro. Fünfzehn Minuten später erschien Krum Krumov aus dem Nichts, als habe er das Ereignis geahnt, oder als sei er zufällig vom Krähen des Hahns, den ein Rentner auf dem Balkon seiner Plattenbauwohnung über ihm hielt, aufgeschreckt worden. Ein so unerklärlich rasches Auftauchen musste eigentlich Verdacht bei den Ermittlungsbehörden wecken; doch Krum war unrasiert und mit einem nur notdürftig über dem braungestreiften Pyjama zugeknöpften Mantel und in Pantoffeln erschienen, was dem Polizeiinspektor intuitiv die Unschuldsvermutung nahelegte.
    Die Nacht war trocken und noch warm. Vom Zigeunerviertel wehte der Geruch stehenden Wassers und später Lagerfeuer herüber. Der Mond nähte den vereinzelten Federwolken am Himmel silberne Säume. Das Viertel versank in Schlaf und Elend. In dem umgebenden Unkraut und Gestrüpp meldeten sich Grillen.
    Der Brand müsse durch einen Kurzschluss in der Färberei ausgelöst worden sein, beschlossen die ermittelnden Polizeibeamten, habe sich von dort auf das Auslieferungslager ausgebreitet und schließlich die Kokslagerhalle erreicht – und als der schwarze Brennstoff erst einmal loderte, heizte sich die Luft derart auf, dass sogar die Stahlträger, auf denen das Dach ruhte, schmolzen. Inzwischen brannte die ganze Fabrikanlage. Die Flammen erhellten in mystischem Schein die Nacht, als suchten sie fieberhaft, wie Diogenes einst mit der Laterne,

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