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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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wo das Menschliche in dieser Zeit des Übergangs geblieben war. Der Nachtwächter wurde erst vom Knacken der Fensterscheiben im Verwaltungstrakt aus seinem Schlummer gerissen. Er hatte vom Winter geträumt, und dass ihm kalt war. Nun sprang er schreiend auf, lud sein Gewehr, gab aber keinen Schuss in die Flammen ab, sondern griff instinktiv nach dem Wasserkrug; beim Anblick des Flammenmeeres aber kam der ihm doch ein wenig klein und unzureichend vor, und als er hineinschaute, stellte er fest, dass er ohnehin nur zur Hälfte gefüllt war. Da endlich kam Bai Pano in seiner Panik darauf, dass er den Chef anrufen sollte. Krum Krumov drückte schon nach einmaligem Läuten auf das grüne Knöpfchen seines Handys, als hätte er den Apparat wohlweislich in der Hand gehalten, und rief nur hinein: »Halt die Stellung, ich komme! Keine Panik, ich rufe sofort die Feuerwehr an und komme!«
    Die alarmierte Feuerwehr schickte zwei Löschzüge, aber viel zu spät. Als ihre schneidende Sirene ertönte, schlugen die Flammen bereits zum Himmel, hatten die Sterne gefressen und den Mond überwuchert wie Unkraut. Durch einen seltsamen Zufall musste am Vorabend ein böser Spaßvogel das Wasser aus den Zisternen der Löschwagen abgelassen haben, und die nächsten erreichbaren Hydranten auf dem Zufahrtsweg waren mutwillig beschädigt worden und ließen sich nicht öffnen. Die Feuerwehrleute eilten zur Donau, als wäre der Fluss zu löschen, und all diese Versuche, an Wasser zu kommen, kosteten wertvolle Zeit.
    Die ersten Schaulustigen stellten sich ein, wurden mehr. Nein, helfen wollten sie nicht, sondern schauen, dem herrlichen Lodern fremden Unglücks zuschauen. Sie wirkten, als hätten sie es eilig. Kamen mit überflüssigen Gegenständen angelaufen und unnützen Ratschlägen. Störten, standen im Weg. Mussten voller Empörung das Geschehen kommentieren. Stritten sich. Äußerten Vermutungen über die Brandursache, brachten vermeintliche Beweise an. Erst gegen ein Uhr traf atemlos und mit zerzaustem Haar, aber im Gegensatz zu ihrem Mann ordentlich gekleidet, Gergina Weleva ein. Mit verzweifeltem Gesicht, das aufregend schön war wie das einer Heldin. Und ebenso Schrecken einflößend. Sie war bereit, mitten ins Feuer zu laufen, um wenigstens die fertig produzierten Service zu retten, die doch längst schon geplatzt, gesprungen, verschmort waren mitsamt allem, was zu ihrer Herstellung geführt und was Gergina als Erfahrung in sich aufgenommen hatte, mitsamt auch der Paradiesvögel. Es gelang so gerade eben, sie zurückzuhalten, denn sie biss und kratzte, als befände sich ihr Kind dort in der Feuersbrunst. Tränen liefen ihr die Wangen herab über den Hals auf die Brust, aber auch mit ihnen war der Brand nicht zu löschen.
    Â»Warum sind wir nur solche verdammte Pechvögel«, heulte sie, »und warum ist in diesem Bulgarien nur jedes Bestreben, etwas aufzubauen, zum Scheitern verurteilt?«
    Doch auch diese naive, fast banale Frage schien noch die brennenden Fabrikruinen zu erschüttern, denn in diesem Moment erzitterten die Fassaden wie ein sterbender Mensch, dann brachen sie zusammen. Roter Rauch, aus dem unzählige Funken sprühten, stob in gewaltigen Wolken zum Himmel. Der Polizeibeamte, der mal das Schauspiel der Flammen, mal die Schaulustigen ansah, um dann argwöhnisch und voller Zweifel auf Krum und seine Frau zu starren, hörte im Grunde nicht auf, an hinterhältige Brandstiftung zu glauben; aber als er die Frau ansah, die so viele Jahre in der Fabrik gearbeitet und sie zuletzt kommissarisch geleitet hatte und die fast wahnsinnig zu werden schien in ihrem Schmerz, entschied seine Seele, dass bei so viel Leid das Feuer nicht vorsätzlich entzündet worden sein konnte.
    Anwalt Schuschulkov brauchte am Morgen geschlagene zwei Stunden, um seine schmerzenden Knochen zur Unglücksstelle zu bewegen. Von der Fabrik waren nur schwarze, still rauchende Stümpfe, Schutthalden und der Name geblieben. Die Feuerwehrleute begossen die Reste noch immer mit dem Wasser, das sie aus der Donau abpumpten, und das erschien nun ungefähr so angemessen wie Bai Panos Überlegung, ob er nicht mit seinem Wasserkrug versuchen sollte, der Flammen Herr zu werden. Schuschulkov hatte Bilder des Brandes in den Morgennachrichten des Lokalfernsehens gesehen. Doch so grandios das Spektakel selbst auf dem kleinen Bildschirm seines alten

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