Seelenasche
war, im Notfall so schnell wie möglich zu erscheinen, aber â der hatte sein Handy ausgeschaltet. Da spürte Christo, dass er nicht einfach nur allein war, sondern verlassen . Mit zitternden Fingern wählte er über Festnetz die Nummer Eduard Toschevs; es war Samstag, und Christo wusste, dass er da in der Regel zu Hause war. Niemand hob ab.
Irgendwo in der Stille des Hauses hörte er eine Tür zuschlagen; aber auch dieses so menschliche Geräusch unterstrich nur die Lautlosigkeit. Christo schwankte, ob er einen Blick ins Schlafzimmer werfen sollte, aber er spürte, dass es zu spät war und dass es, wenn er auch nur einen Moment länger in diesem Haus blieb, für alles Weitere schlechthin zu spät sein würde. Er griff nach seiner Jacke, in der seine Brieftasche und seine Autoschlüssel für den Audi steckten, der auf der kiesbestreuten Zufahrt parkte. DrauÃen hatte sogar der Wind sich gelegt. Die Dämmerung setzte ein, der feuchte Modergeruch des Herbstes lag in der Luft. Er steckte den Zündschlüssel ein. Na bitte, der Audi sprang sofort an. Christo gab Gas und steuerte die Limousine durch das Tor zur StraÃe â wenige Sekunden, bevor es sich automatisch hinter ihm schloss.
27
Das Bild des tot daliegenden Hundes lag wie ein groÃer Knochen quer in seinem Kopf. Schweià lief ihm über Stirn und Gesicht, lief ihm beiÃend in die Augen, sodass er schwer sehen konnte. Wenn einer ihn jetzt anhielt, musste der denken, Christo weine. Er schaltete einen Gang höher, beschleunigte auf hundertfünfzig Stundenkilometer, ein selbstmörderisches Tempo auf diesem schmalen, mit Kopfsteinpflaster gedeckten Weg. Die Menschen sahen in dieser noch dünnen Dunkelheit im Licht seiner Scheinwerfer aus wie flache Pappfiguren, die links und rechts aufgestellt waren. Sein diffuses Erschrockensein sammelte sich langsam, wurde zu einer berechenbaren GröÃe, und bekam dadurch die Schärfe schneidender Angst. In der Kurve scherte sein Wagen aus. Gut, dass sein Wagen ABS-Bremsen hatte. Er schaute in den Rückspiegel, brachte das Auto zum Stehen. Versuchte, zur Besinnung zu kommen. Was hatte ihn eigentlich veranlasst, sein Anwesen so überstürzt und in Panik zu verlassen? Ja, ohne es sich bewusst gemacht zu haben, war er auf dem Weg zu Dessislava, vor Angst, ihr und ihrem gemeinsamen Kind könne etwas passiert sein. Da auf einmal merkte er auch, dass das in seinen Augen wirklich Tränen waren. Wer aber waren die Urheber dieser Bedrohung? Was hatten sie vor?
Er musste erst einmal tief durchatmen. Dann unternahm er einen neuen Versuch, sich mit dem Chef seiner Wachmannschaft in Verbindung zu setzen. Immer noch meldete eine Damenstimme, dass der Telefoninhaber zeitweilig nicht erreichbar sei. Der Mann war entweder bestochen oder ernsthaft bedroht worden, oder beides. Als er den Wagen wendete, zitterten seine Hände. An der ersten QuerstraÃe bog er rechts ab und fuhr die Allee mit den exotischen Bäumen entlang, an der die teuersten Immobilien des Prominentenviertels Bojana lagen. Durch die bis zu drei Meter hohen Mauern um die einzelnen Grundstücke konnte man nicht hineinschauen auf die teuer gepflegten Gartenflächen und die bereits erleuchteten, aber vom herabfallenden Nebel verschleierten Fenster. Der Schlagbaum vor der Auffahrt zum Tor des Anwesens von Eduard Toschev hob sich von allein, auch das schmiedeeiserne Tor selbst öffnete sich lautlos. Er tauchte ein in den vernebelten Vorgarten. Die Lampen entlang des Kieswegs waren noch nicht eingeschaltet, sodass die Marmorkopien der antiken Figuren, Göttertorsi und Satyrstatuen im wabernden, von seinen Scheinwerfern angestrahlten Nebel wie lebendig aussahen. Weiter hinten schimmerte der Teich mit den künstlich angelegten Wasserfällen und Springbrunnen, in denen Goldfische schwammen und Wasserschildkröten hausten. Vor dem Haupteingang stand, in eine schwarze Pelerine gehüllt, der Wirtschafter Toschevs, ein alter Mann mit rosig rasierter Haut und einer pechschwarzen Perücke auf dem Kopf.
»Herr Toschev hat mir aufgetragen, Sie in sein Arbeitszimmer zu führen«, sagte er wie immer mit anödender Liebenswürdigkeit.
»Vielen Dank, Herr Karailiev.«
Sie gingen die Granitstufen der einer Residenz würdigen Freitreppe hinauf, dann erstiegen sie die mit dicken roten Läufern belegte Treppe zum Obergeschoss. Im Allerheiligsten Eduard Toschevs war Christo bislang nur
Weitere Kostenlose Bücher