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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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unbedeutenden Stadt; seine Auffassungen vom Wesen des Lebens von dem, was er von oben angeordnet bekam und seinen Untertanen zu befehlen hatte. So fehlte dem Hohen Patrizier zwar der wahre Adel, er war aber in seiner Ergebenheit auch nicht sonderlich grausam. Dazu liebte er das Vergnügen viel zu sehr. Das Bad suchte er mehr auf, um sich an den kostbaren Mosaiken darin zu ergötzen, als um sich zu reinigen. Und an den Umarmungen der Hetären lag ihm mehr als an Ehre und edler Gesinnung.
    Die Fackeln in seinem Schlafgemach erleuchteten den Faltenwurf der Decke. Die Frau neben ihm lag halb aufgedeckt da und ähnelte dem zunehmenden Mond. Ihr Lächeln nahm einem jeden Willen. Sie trank nur Wasser, um ihre Sinne wach zu erhalten, der Hohe Patrizier aber unverdünnten Wein, um seine Sinne zu betäuben: ein nackter Mann neben einer halb zugedeckten Frau in einer endlosen, heißen Nacht. Was konnte ihnen schon widerfahren, außer dass ihnen langweilig wurde und sie das Vollzogene wiederholen mussten, bis die gesättigte Lust sie trennte? Nichts. Da entblößte der Hohe Patrizier ihre Brüste und rief machtvoll aus:
    Â» Lasst ihn eintreten!«
    Der Mensch trat mit erhobenem Haupt ein. Der Schein der Fackeln schlug wie ein Vorhang vor seinen Augen zusammen.
    Â» Da bin ich«, sagte er schlicht, ohne sich zu verbeugen mit der Unterwürfigkeit des Bettlers oder gemeinen Bittstellers.
    Â» Das sehe ich.«
    Â» Ich bin es müde geworden, zu überzeugen, und mein Weg ist zu Ende«, sagte der Fremde leise. » Darum will ich es tun.«
    Â» Dann tu es halt. Aber was eigentlich? Das muss ja etwas Außerordentliches, Unnachahmliches, Unmögliches sein, wenn du, wie mein Hauptmann mir sagte, unser Gott bist.«
    Â» Ich bin verpflichtet, es zu tun, ich bin es müde, zu überzeugen. Ja, ich bin dein Gott, ich kann Tote zum Leben erwecken!«
    Im Lachen der Hetäre lachten alle lasterhaften Frauen. Ihre Schönheit blitzte auf, wie wenn man ein Messer zog. Der Hohe Patrizier fühlte seine Macht. Sie weckte seine schlaffe Männlichkeit; dann vernebelte sie seinen Verstand.
    Â» Ich bin einverstanden«, sagte der Statthalter teils träge, teils aufgebracht. » Wenn es dir gelingt, sollst du die Hälfte meines Goldes erhalten. Wenn es dir aber nicht gelingt, die Toten aufzuwecken, so nehme ich die Hälfte deines Kopfes.«
    Â» Ich habe keine Wahl«, antwortete der Mensch mit unverhüllter Melancholie, » zu müde bin ich.«
    Der Hohe Patrizier klatschte in die Hände. Die Wachen eilten ins Gemach. Über der Stadt erstrahlte die dünne, scharfe Sichel des Mondes.
    Â» Wann wirst du es tun ?«
    Â» Nur einen Tag kann ich es noch aushalten«, erwiderte der Fremde.
    Â» Morgen Abend wirst du es tun. Bis dahin sollst du in meinen Verliesen liegen. Führt ihn ab!«
    Die Hetäre schaute verängstigt auf den leeren Platz, den der Mensch zurückließ. In ihr war jenes Erkennen erwacht, das alle lasterhaften Frauen haben. Unbewusst griff sie nach dem Weinglas und trank daraus im Versuch, den Mann neben sich zu retten.
    Â» Du hast übereilt entschieden, hättest es erst überdenken sollen«, sagte sie, bevor sie sich seiner Erregung hingab, die noch verstärkt war von seiner aufgebrachten Herrscherlaune.
    Die Leute der Oberschicht in der Stadt ähnelten sich. Sie kannten die Zufälle des Lebens und die Launen des Schicksals dadurch, dass sie sich nach oben, vor dem Statthalter und Höchsten Patrizier, verneigten, das Gleiche aber von denen verlangten, die unter ihnen standen. Sie füllten die Säulenhalle mit dem Geruch der Angst vor dem Verlust ihrer gehobenen Stellung, ihrer Sicherheit, vor der von Anfang an verlorenen Schlacht. Sie luden die Luft mit knisternder Elektrizität auf, verdichteten sie. Der Mosaikfußboden, den sie mit ihren Sandalen traten, stand für das ganze römische Imperium. Der Hohe Patrizier schaute erst an die Decke, auf deren Verputz der Himmel gemalt war, dann auf die Marmorsäulen, die sie stützten, schließlich auf die anwesenden Menschen. Eine feierliche Kirchenstille trat ein, in der seine Worte direkt an die Ewigkeit schlugen. Er erzählte den anwesenden Patriziern von dem Menschen.
    Die Ersten unter den Patriziern seufzten in spontaner Erleichterung, staunten, begeisterten sich an dem amüsanten Einfall des Statthalters. Ihre Hände begannen zu klatschen,

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