Seelenasche
denn, wenn der General in seinem Sadismus gar nicht ihn selbst im Visier hatte, sondern ihn dadurch strafen wollte, dass er nach dem Wahrhaftigsten und Lebendigsten in seinem Herzen griff, nach denen, die er am meisten, nein, die einzig er liebte? Zu spät zur Umkehr! Er hatte bereits auf den Klingelknopf gedrückt.
Dessislava öffnete ihm so schnell, als hätte sie hinter der Tür gestanden. Lächelte ihn an. Fragend, aber auch mit jener gedehnten Fülle, mit der eine Frau ankündigt, dass sie dir viel zu erzählen hat. Sie trug einen Bademantel mit Blumenmuster und war gehüllt in jenen geheimnisvollen Duft aus Befriedung, der Reinheit einschieÃender Milch und Ewigkeit. Ein Fuà war nackt, am anderen trug sie einen Wollstrumpf.
»Du?«, freute sie sich.
»Höchstpersönlich! Siehst du â¦Â«
»Warum hast du nicht vorher angerufen? Ich hätte dir von den Pfannkuchen übrig gelassen. Ich esse wie eine Weltmeisterin, hab sie alle verputzt.«
»Warum, tja, warum? Na, weil ⦠weil â¦Â«
Christo war auÃer Atem, als wäre er gerannt.
»Komm doch rein, drauÃen schneitâs. Du riechst nach Wind und Schneeflocken.«
Im Korridor roch es nach Sonnenblumenöl und leicht angebranntem Teig. Oben war das Geräusch einer Wasserspülung zu hören. Im Wohnzimmer begrüÃten ihn wie blinde Fenster die hellen Rechtecke, an denen Emilias Gemälde gehangen hatten.
»Schau, wie ich dich empfange«, lachte Dessislava glücklich und hob ihren nackten FuÃ. Dann kuschelte sie sich an seine Brust, die sich atemlos hob und senkte über dem schnellen Pochen des Herzens. »Das ist zu Ehren Janas, meiner Genossin im Geiste des Solo-Strumpfes. Hab heute eine E-Mail von ihr bekommen.«
Christo musste lachen, aber sein Lachen war nicht frei, sondern lau und bitter. Seine Hand glitt über Dessislavas Bauch, verharrte dort, um zu erfühlen, was ihr Sohn machte. Dann glitt seine Hand tiefer. Seine Erektion kam vollkommen unerwartet. Er streifte Dessislava den Bademantel ab, warf ihn neben dem Kanapee auf den Boden. Dessislavas Nacktheit war für ihn in diesem Moment so zwingend, so nötig, so warm und sättigend wie ein frisches Brot für den Ausgehungerten. Seine Leidenschaftlichkeit erstaunte sie anfangs, lieà ihren Atem stocken; doch dann überflutete sie alles, auch ihre Gedanken.
»Du bist ja wahnsinnig, mein Liebster«, keuchte sie, »Vater ist hier! Du bist ja total wahnsinnig, bekloppt, durchgeknallt, aaahh, irre!«
Dann öffnete die Leidenschaft das breite Tor zu jener lasziven Langsamkeit, in der die wahre Verschmelzung beginnt, und das, was Dessislava »irre« nannte, war, dass dies die Frucht seiner Todesangst war. Als der Liebesrausch abklang und sie im Geruch der Körpersäfte wieder zu sich fanden, kam es wie eine Erinnerung über Dessislava, als sie des Unterschieds in seiner Leidenschaft, seiner Potenz gewahr wurde â und erschauerte.
»Ist etwas passiert?«
»Ach was«, winkte er wenig überzeugend ab.
»Hat es nur mit dir zu tun oder mit uns?«
»Gar nichts ist passiert«, beharrte er.
»Ich erkenne dich nicht wieder, du bist so verändert. Jetzt sag: Warum bist du gekommen?«
»Ich habe eine wichtige Verabredung«, erwiderte Christo, »aber kein Geld in der Tasche.«
»Und mit wem?«
»Sagen wir: eine Verabredung mit mir selbst, aber es ist schrecklich wichtig.«
»Du â kein Geld?« Sie war so verblüfft von diesem Detail, dass ihre Aufmerksamkeit abgelenkt war und sie sich beruhigte. »Du ⦠wegen Geld ⦠zu mir?«
»Du weiÃt doch, dass ich nie Bargeld in der Tasche habe«, erklärte er beklommen, »und gestern hab ich meine Brieftasche mit allen Kreditkarten drin verloren.«
»Ich ⦠dir ⦠Geld geben?« Dessislava wurde skeptisch. Dann lächelte sie und strich sich über den Bauch. »Ich hab dreihundert Leva da, aber wenn du willst, kann ich auch noch am Automaten vierhundert abheben. Das reicht dann vielleicht für dein Treffen unter zwei Augen .«
Christo zog sich fröstelnd zusammen. Ihm war wieder eingefallen, dass die da , dass seine Verfolger ganz in der Nähe auf ihn lauern mussten. Er spürte sie, aber er spürte auch, wie müde er war, todmüde, taumelnd im Ungewissen. Geschützt nur von dem Lächeln einer werdenden Mutter.
Dessislava würde
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