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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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bisschen Glück! Von allem Übrigen haben Sie ja im Überfluss.«
    Einer der stämmigen Leibwächter Toschevs stürzte herein, gekleidet in den obligatorischen schwarzen Anzug und mit einer Boxernase.
    Â»Herr Weltschev hat es eilig, geleiten Sie ihn bitte hinaus«, ordnete Toschev mit Nachdruck in der Stimme an und wendete seinem Überraschungsgast den Rücken zu.
28
    Die Nacht war feucht und kühl. Ein feiner, leiser Regen fiel, der einschläfernd, betäubend wirkte. Die Erleuchtung war ihm noch im Arbeitszimmer Toschevs gekommen, ganz plötzlich. Nachdem dieser auf irgendeinem Wege von seiner, Christos, früheren Affäre mit Mariana erfahren hatte, hatte er in krankhafter Eifersucht seine schützende Hand von Christo abgezogen. Es war sogar zu vermuten, dass er selbst es gewesen war, der General Grigorov gesteckt hatte, er könne nun mit Christo machen, was er wolle.
    Ihm blieb jetzt eigentlich nur, Grigorov um ein Treffen zu bitten und ihm alles zu erklären, damit der sich wieder beruhigte; aber vor morgen würde das auf keinen Fall klappen. Jetzt musste er erstmal einen Schlafplatz in einem Hotel finden. Er nestelte seine Brieftasche aus der Innentasche seines Mantels. Seine Ausweise steckten an ihrem Platz, aber seine Kreditkarten waren spurlos verschwunden, und Bargeld trug er niemals bei sich. Es durchlief ihn eiskalt. Ihm blieb nur noch die elterliche Wohnung auf der Iwan-Schischman-Straße. Nun fuhr er höchst vorsichtig und schaute ununterbrochen in den Rückspiegel. Noch hatte er das Gefühl, allein und ohne Angst zu sein – noch! Er parkte hinter der Kirche Siebenheiligen. Im Hausflur roch es beruhigend nach feuchten Fliesen, Schimmel und dem letzten Winter. Mit dem Stoßatem des Menschen in Panik hastete er die Treppen hoch, näherte sich der Wohnungstür und lehnte sich in den Türrahmen. Dann lauschte er. Die Stille im Treppenhaus war so beruhigend vertraut, wollte nichts von ihm. Der Wohnungsschlüssel zitterte schon vor dem Türschloss, da hörte er drinnen jemanden hüsteln … Nein, nicht hier!
29
    Durch das leichenblasse Licht der Straßenlaternen stahl sich Christo in das Mietshaus auf der Ljuben-Karawelov-Straße wie ein Dieb. Hinter den Reihen mit den Briefkästen blieb er stehen, »lauschte« mit Augen und Ohren, wie die Zeit die Dunkelheit durchströmte, stand angewurzelt da wie ein Mensch, der ein Zuhause und einen Schlüssel dazu hat, aber vergessen, wie man hingelangte. Irgendwer in den oberen Etagen schaltete die Treppenhausbeleuchtung ein. Das riss ihn aus seiner Versenkung. Er hastete die Stufen hinauf, hatte plötzlich eine Erklärung, warum er seine Angst nicht in den Griff bekam: Dazu war sie einfach viel zu verzweigt und verschachtelt, zu vielmündig schwatzhaft und mehrdeutig! Er fühlte sich wie ein Tier, umstellt von jenen, die es ganz bald schlachten würden, aber sich ihrer Sache so sicher waren, dass sie keine Eile hatten. Sie würden ganz ruhig und methodisch zu Werke gehen, diese Verfolger; doch er, das Schlachtvieh, zuckte bei jeder ihrer Bewegungen zusammen, weil er dachte: jetzt! Außer der eigenen Todesangst war da auch noch die Angst um Dessislava und ihrer beider Kind. Es sei ein Junge, hatte der Gynäkologe auf dem Ultraschallbild schon erkannt, und er sollte Assen heißen nach Dessislavas Vater.
    Vor lauter Horchen wusste Christo bald nicht mehr, ob das, was er erlauschte, aus der Wohnung, aus dem Treppenhaus oder aus ihm selbst kam. Diese Verfolger, diese Schlächter hatten, indem sie ihn aus seinem Zuhause vertrieben hatten, das Nest, das er sich geschaffen hatte mit seinem plötzlichen Reichtum, auf einen Schlag zerstört. Sein Erfolg, der angehäufte Besitz, das allmählich entstandene Gefühl der Unantastbarkeit, das immer mehr zur Grundlage seines Denkens und Handelns geworden war – auf einen Streich waren sie dahin.
    Seine Verfolger waren unsichtbar, und das war gleichbedeutend damit, dass sie überall waren, in der Luft, im Vorrücken des Zeigers seiner Armbanduhr, im Schweigen seines Mobiltelefons. Er roch ihre scharfe Ausdünstung nach Gewalt, hörte ihren Atem, sah ihre kalten, gefühllosen Blicke aus sicherer Nähe, sicherer Distanz, spürte ihre Unnachgiebigkeit auf der Haut – und da wurde ihm klar, dass er selbst sie zu dem hingeführt hatte, was ihn am verletzlichsten machte: zur schwangeren Dessislava. Was

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