Seelenasche
geht das mich an ?« Der Hohe Patrizier trank demonstrativ einen Schluck von seinem schweren Wein.
» Du selbst hast den von Rom entsandten Statthalter enthauptet, um die Herrschaft über diese Stadt zu gewinnen, dann hast du den Bruder deiner Frau ruiniert und in die Verbannung geschickt, und in der Wüste hat er sein Leben ausgehaucht. Jeder von uns hat etwas Unwiderrufliches, Auswegloses getan, etwas Schreckliches, Gemeines, und im Geheimen schämt er sich für manches, für das er nie die gerechte Strafe erhielt und weiterhofft, sie nie zu erhalten.«
» Gut, aber die Toten sind ja nun tot â¦Â«
» Und was, wenn dieser Fremde sie wirklich auferweckt? Die Toten sind tot, sie fürchten die Gewalt nicht, und nicht deine Macht. Sie werden reden!«
Ein Silberkelch fiel scheppernd auf den Marmorboden. Der Weise lieà den Griff des Dolches los, als er sah, wie über das Gesicht des Statthalters jenes Erkennen lief, das es unnötig machte, den Ãberbringer schlechter Nachrichten zu beseitigen!
Man führte den Fremden zum Festungstor. Der Mensch ging mit stolz erhobenem Haupt, abgerissen und furchtbar.
» Noch einen Moment halte ich es aus«, rief er laut und spürte, wie sein Kopf in zwei Hälften zersprang. In seiner Phantasie sah er sein Gesicht zerreiÃen, und das Entsetzen lieà ihn verstummen. » Nur noch einen Moment«, flüsterte er verdammt.
» Sicher«, nickte der Weise und zeigte auf die Satteltaschen, die auf eine Eselin geschnallt waren. » Das ist Gold, und es gehört dir.«
Als sie drauÃen vor der Stadtmauer waren, ertönte der Ruf eines Nachtvogels.
» Geh mit Gott, Mensch.«
» Ich bin kein Mensch«, erwiderte der Fremde freudlos, » ich bin dein Gott!«
Das schwere Tor fiel krachend zu, zerteilte den Augenblick mit einem Geräusch, als würde jemandes Haupt abgeschlagen. Die geplatzte Härte seufzte quietschend auf, die Sterne lugten fragend herab, die Grillen schwiegen, die Schlangen kühlten aus und erstarrten.
Aus der Ferne sah die Festungsmauer wie eine aufgeblühte Tulpe aus, die jemand abgerupft und in die Wüste geworfen hatte. Das Lüftchen hob den feinen Sand hoch, verebbte und legte sich zu FüÃen des Menschen wie ein Hund. Einsam fühlte sich der, sterbensmüde. Er biss sich auf die Lippen und führte die Toten hinter sich her. Er hatte es eilig, zu dem Gestrüpp zu gelangen, das die Ziegen seiner Jünger abknabberten. » Ich bin es müde geworden, euch zu überzeugen«, würde er ihnen sagen, » da habt ihr, Gold bringe ich euch, Gold und den lebendigen Glauben!«
Doch um das erkaltete Lagerfeuer saà niemand mehr. Nur die blinde Dunkelheit empfing das Wunder. Der Mann spürte, wie seine Tränen sich in den trockenen Wind mischten. Nun war der Weg nach Golgatha und zur Kreuzigung schon kein letzter Ausweg mehr, sondern eine Notwendigkeit. Der Mensch hatte keine Wahl, er musste sich dem Gesetz unterwerfen und zum Gott werden!
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Als Christo den Kopf vom Bildschirm hob, war es vier Uhr nachmittags. Von der Anspannung beim Schreiben war er nicht einfach nur erschöpft; er war so ausgelaugt, dass er taumelte im Versuch, aufzustehen. Ihm kam eine Vorahnung. Er öffnete sein E-Mail-Programm, hängte die Datei an, schrieb ein paar Worte, erst dann stand er vorsichtig auf.
Da hörte er sie wieder: diese unnatürliche, diese Totenstille. Sie drang unsichtbar durch alle Poren in ihn ein, bemächtigte sich seiner Sinne, seines Verstandes. Er schaute durchs Fenster hinab. In der einen Ecke, zwischen den Zypressen und der Hundehütte, lag einer seiner riesigen Hirtenhunde ausgestreckt da, die Pfoten ragten unnatürlich verdreht in die Luft. Die Schnauze sah verzerrt aus, die Zähne hässlich gefletscht ⦠Dieser Hund war tot, vergiftet.
Christo wurde schlecht. Er empfand noch keine Angst, sondern nur wachsenden Abscheu. Reflexartig griff er zum Telefon, um den Wächter an der Pforte anzurufen. Das Freizeichen ertönte, aber niemand hob ab. Höchst verwundert legte er auf, lauschte erneut hinein in die Stille. Koch und Gärtner waren ebenfalls verschwunden. Nun kam ihm diese Stille schon vor wie ein Vakuum, das alles in sich einsaugte, wie ⦠Grabesstille. Er versuchte, per Mobiltelefon den Chef seiner Wachmannschaft zu erreichen, der fünfzehn Minuten entfernt von ihm in Simeonowo lebte und vertraglich verpflichtet
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