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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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diesen theatralischen Moment umbrechen in die nächste Szene, in der sie sich anziehen, zum Bankautomaten rennen, vierhundert Leva abheben und so schnell zurückkehren würde, dass er keine Zeit hatte, sich von seiner Angst zu erholen. Absurderweise stand sein Glied immer noch aufrecht da wie der tapfere Zinnsoldat im Papierschiffchen. Da war eine Kraft am Werk, die aus seinem Unbewussten empordrang, die aus jeder einzelnen Körperzelle sich meldete. Es war dämonisch und erinnerte an Minutenwahnsinn. Auf einmal bekam er einen irrsinnigen Hunger auf Fleisch. Es aß ihn Fleisch, es trank ihn Fleisch. Dessislava streichelte seine erigierte Männlichkeit, seine wiederhergestellte männliche Vorherrschaft, und flüsterte ihm ins Ohr:
    Â»Du bist wirklich total anders. Ich hab Angst!«
    Â»Ich liebe dich …«
    Â»Ich weiß. Und doch bist du anders.« Sie dachte nach, suchte nach dem treffenden Wort. »Ja, getrieben, rettungslos.«
    Â»â€¦ und werde dich immer lieben«, beendete Christo seinen Satz gequält.
    Â»Es ist was vorgefallen, stimmt’s? Ich bin ganz unruhig plötzlich, und weiß nicht, warum.«
    Â»Nein, es ist nichts, Liebste. Ich bin hier, hier bei dir.«
    Â»Nimm dich in Acht!«
    Â»Vor wem denn in Acht nehmen?« Sein Hunger auf Fleisch war unerträglich geworden.
    Â»Schau doch nur, wie meine Hände zittern, wie ich zittere …«
    Wie er sie so dastehen sah, war sie im klassischen Sinne so gar nicht schön, und doch – wie unwiderstehlich! Jemand hustete in ihr Schweigen. Christo zuckte zusammen, aber der Laut kam von ganz hinten aus der Wohnung. Das war ihr Vater, sein Onkel, der alte Assen Weltschev.
30
    Dessislava warf einen Blick in sein Zimmer. Gott sei Dank, ihr Vater hatte nichts gehört. Er war selig in seinem uralten, mit Damast bezogenen Ohrensessel eingeschlummert. Sie machte die Tür zu, stahl sich in ihr Zimmer, zog ihr weites Schwangerschaftskleid aus, das ihr bereits eng wurde, und schlüpfte wieder in ihren Bademantel. Da bewegte es sich in ihrem Bauch: Der kleine Assen strampelte unzufrieden.
    Â»Papa ist nicht da«, sagte sie, als könne der Embryo sie hören, »er ist weggegangen. Ja, mir auch, Liebes, aber was sollen wir machen? Haben ihm gerade eben diese siebenhundert Leva zusammengekratzt, damit er mit irgend so einem reichen Fiesling ein Geschäftsabendessen machen kann.«
    Die Tritte aus dem Bauch wurden noch wilder und ungeduldiger, fast vorwurfsvoll.
    Â»Bist ja ganz schön gierig! Wegen dir werde ich noch rund wie ein Fass, und dann wird Papa mich gar nicht mehr mögen. Schluss mit der Schokolade, jetzt gibt es nur noch Sesamstangen.«
    Dessislava zog die weiten Pantoffeln ihres Vaters an und schlurfte in die Küche. Der Kleine da in ihrem Bauch war entweder schon wieder hungrig, oder er übte bereits zu kommandieren, als Erstes natürlich sie, bevor es hinausging in die große weite Welt.
    Â»Und hör auf zu treten, du! Na gut, zum Kräutertee zwei Stückchen von der Lieblingsschokolade mit Mandeln. Aber weißt du, mein kleiner Treter, wenn ich dir jetzt zwei Stücke reinfüttere, dann gibst du ja doch wieder keine Ruhe, bevor nicht die ganze Tafel weg ist. Da bist du stur, wie dein Vater.«
    Ihr Handy klingelte. Sie fand es in der Tasche ihres Bademantels und drückte auf das grüne Knöpfchen. Eine ungestüme Frauenstimme fragte gepresst, wie um nicht gehört zu werden:
    Â»Ist Christo bei Ihnen?«
    Wenn Dessislava etwas hasste, dann war es Dreistigkeit. Und diese Stimme, so leise sie auch war, bat nicht um Gehör, sondern forderte es, so als habe sie etwas von ungeheurer Wichtigkeit mitzuteilen.
    Â»Ja, er war hier, ist aber wieder gegangen«, antwortete sie gereizt.
    Â»Halten Sie ihn auf!«
    Erst jetzt erkannte Dessislava die Ehefrau Toschevs.
    Â»Mariana, Sie? Herrgott, was ist denn passiert?«
    Â»Bitte suchen Sie ihn, halten Sie ihn auf, sofort!«
    Â»Er ist vor einer Minute zur Tür hinaus. Zu einer Verabredung, die irgendwie unheimlich wichtig sei.«
    Â»Er ist in schrecklicher, in Todesgefahr!«
    Die Stimme der Frau hob sich, wand sich in unverhülltem Entsetzen, ging in wimmerndes Schluchzen über. Dessislava hörte, wie eine grobe Männerstimme sagte: »Drecksschlampe!« Dann, schreiend: »Elende Nutte!« Es folgten die Geräusche eines heftigen Handgemenges, dann brach die Verbindung ab.

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