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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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abgebrochener Albträume und anderer Betäubungsmittel, wie es auf einer Intensivstation und in der Nähe des OP nicht anders zu erwarten war.
    Das Licht der Deckenbeleuchtung drang ihr stechend in die Augen, aber sie hatte keine Kraft, sie zu schließen, dieses Weiß daran zu hindern, durch ihre Pupillen einzuströmen, bis sie nur noch Schwarz sah. Sie hatte keine Kraft, sich von der spartanischen Leere des Raumes abzukoppeln, von der Leere in ihrem Bauch, von ihrem eigenen Selbsterhaltungstrieb und der ganzen hinter ihr liegenden schweren und schwierigen Fleißübung namens »mein Leben und seine Würde«. Die konnte ihr gestohlen bleiben, diese Würde! Sie schaute, schaute, aber mehr in sich hinein als um sich herum. Da drinnen war sie allein, so schrecklich allein, dass es keinen Unterschied mehr machte, ob sie nun auch starb oder nicht. Ja, der Tod quoll nur so aus ihr heraus, wie das Blut aus Christo gequollen war, denn Christo war nicht auf der Straße gestorben, sondern in ihr drin, zusammen mit dem kleinen Assen. Geblieben war nichts als kühle Reglosigkeit, frostige Stille, schwarz, endlos und leer wie der Weltraum. Sie war so dicht, diese Todesleere, dass sie noch nicht einmal Hunger auf Schokolade hatte.
    Da drang eine männliche Stimme an ihr Ohr: »Dessi, Schwesterlein!«
    Nach Jordans Stimme tauchte das Gesicht von Jordans Frau Dida über ihr auf, von Mitgefühl und Hilflosigkeit leuchtend und feuerrot eingerahmt. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen.
    Â»Du wirst schon wieder, Herzchen, hörst du … Wir sind doch bei dir, wir sind doch da!«
    Erst jetzt nahm sie den Schmerz in ihrem Unterleib wahr, der anwuchs zur Größe ihres ganzen zukünftigen Lebens, und obwohl es nichts mehr gab, wovor sie sich fürchtete, hatte sie doch Angst vor der Sinnlosigkeit, die dräuend am Horizont stand.
    Auf den Tischen in der Reanimation nebenan war jemand inkontinent; Uringeruch breitete sich aus. In dem weißen Nierenbecken auf ihrem Schränkchen lag ein blutgetränkter Tupfer. So ein Tupfer war sie auch, vollgesogen mit Gleichgültigkeit und Mühsal. In einer matten Aufwallung kam ihr der Allmächtige in den Sinn, an den zu glauben sie durch späte Taufe bekundet hatte, und der ihr nun mit ein paar Schüssen und ein paar Fausthieben alle Hoffnung aus dem Leib gejagt hatte.
    Da kam ihr die Erleuchtung, dass es ihr bestimmt war, leer zu bleiben wie dieses künstliche Licht da oben, das ihr in die Augen stach, und keine Frucht zu tragen wie Jonka. Sie konnte noch nicht ahnen, dass der Herr aller Dinge, indem er ihr alles nahm, sie nun mit jener magischen Kraft begabte, mit der ihre »Großmutter an Großmutters statt« in den tiefen Brunnen der Vergangenheit und in die Mysterien der Zukunft geschaut hatte. Fast verblutet und vom Glück ausgeschlossen, hatte Dessislava die Gabe erlangt, hellzusehen.
    Â»Nicht, wir sind doch bei dir?«, fragte ihre Schwägerin Dida jemanden und weinte wieder los.
    Da endlich gelang es Dessislava, die Augen zu schließen und den Andrang der Einsamkeit und des sterilen Lichtes abzuwehren, woraufhin sie ihre erste Vision hatte. Sie sah die Donau. Matt schimmernd zog sie sich in der Sonne hin wie ein Band aus Blei, und der große Strom floss durch sie hindurch, durch ihren Kopf, durch ihre Brust, durch ihren Unterleib, und gelangte dahin, wo es keinen Anfang und kein Ende mehr gab, und wo der kleine Assen und der große Christo sie erwarteten.
32
    Das Glas mit dem Whisky on the rocks kam ihm bleischwer vor, so müde fühlte er sich, richtig kaputt. Didas Bademantel war vorn aufgegangen. Ihr schwarzer Slip und ihre langen Beine erregten ihn, aber er konnte seinem Begehren nicht nachgeben, denn die Kinderfrau, die auf Jona aufpasste, war noch da. Als Jordan den ersten tröstenden Schluck von seinem goldbraunen Vierzigprozenter intus hatte, klingelte sein Handy. An dem eigens ausgewählten Klingelton erkannte er, dass man ihn von Alphavision, seinem Fernsehsender, anrief. Sima. Sie vertrat zeitweise die Ressortleiterin »Information und Nachrichten«.
    Â»Hallo, Chef«, hörte er ihre müde, aber angespannte Stimme, »vor einer Stunde gab es einen Mord.«
    Â»Habt ihr ein Team hingeschickt?«
    Â»Ist keine dreihundert Meter von euch passiert.«
    Â»Bereitet was für den Spätblock vor, und meldet euch bei allen unseren Informanten bei der Polizei und unseren

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