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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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zwischen Stojanovs Aufzeichnungen über die Aufstände in Bulgarien und Radevs Die Baumeister des heutigen Bulgarien , bis sie irgendwann verschwunden waren. Seinen Dienstausweis hielt er auf dem ganzen Weg zum Fernsehen in der Hand, obwohl die Wachsoldaten am Eingang ihn längst kannten. Die Tage, an denen er sein Gehalt bekam, waren Albträume, denn die Banknoten, die er sich in die Gesäßtasche steckte, schienen luftlöslich zu sein. Während einer Aufzeichnung arbeitete er nie mit Notizzetteln oder Kärtchen, aus purer Angst, er könnte sie im entscheidenden Moment nicht finden.
    Dieser peinigende Komplex hatte allerdings nichts gemein mit »Furcht vor der Freiheit«, wie Nedas Psychologiegott Erich Fromm diagnostiziert hätte. Viel zu genau erinnerte sich Jordan an den Moment, in dem er ihn bekommen hatte. Es war in einem gleißenden, endlosen Sommer voller »Barfußen« gewesen, er sechs Jahre alt. An jenem Nachmittag hatten er und die anderen Jungen versucht, einem verzärtelten Hündchen ein Stück Blech an den Schwanz zu binden. Es muss ein Pudel gewesen sein, völlig deplaziert im Elend ihres damaligen Viertels, mit schlaftrunkenen, liebeskranken Augen und einem Halsband aus echtem Leder. Sie hassten das Tier sofort, denn es war ein Wesen aus einer anderen, reichen und unberührten Welt, mit krausem Fell von so unglaublicher Weiße, als käme es gerade aus der chemischen Reinigung. Die Kinder von der Klokotnizastraße hatten ein »Hilfs-Kommando« nach dem Vorbild des russischen Kinderbuch-Klassikers Timur und sein Kommando gebildet, kauften gebrechlichen Omas Milch ein und fütterten die herrenlosen Promenadenmischungen auf der Straße. Dieser Pudel aber stieß sie ab mit seiner Menschenähnlichkeit, seinem vornehmen Hunger nach Streicheleinheiten und seiner Fähigkeit, mit angezogenen Vorderpfötchen auf den Hinterbeinen zu laufen. Selbst sein Geruch erregte Verdacht; er war irgendwie bürgerlich. Auf einmal tauchte an der Ecke wutentbrannt sein Herrchen auf. Jordan nahm die Beine in die Hand, robbte über den benachbarten Hühnerstall, fiel von der Mauer und schlug sich die Knie auf. – Im heimischen Hof hatte sich unterdessen etwas Unglaubliches ereignet. Unter der Quitte, gleich neben den abgelatschten Schuhen, war ein Tisch aufgestellt worden, eine weiße Tischdecke darauf. Um diesen Tisch saßen Jonka mit im Schoß verschränkten Händen, sein Vater mit aufgeknöpftem Hemd und eine unfassbar schöne Frau mit goldenem Haar. Ihr Gesicht lag im Schatten des Baumes, doch alles deutete darauf hin, dass sie einem Märchen entstiegen war. Sie war ihm so nahe – wenn auch bis zu diesem Moment nur als Erwartung – und geradezu schmerzlich bekannt. »Mama!« In seinen Träumen sah er sie genau so, mit Haaren voller Goldfäden, Nachmittagssonne und innehaltendem Wind.
    Â»Mama …« Er erinnerte sich nicht mehr, ob er das rief oder nur flüsterte; doch er warf sich wie ein Schoßhündchen in ihre geöffneten Arme und umschlang mit seinen Händen ihren feinen Nacken. »Ich heiße Emilia«, sagte die Frau und errötete. Er spürte plötzlich ihre festen Brüste unter ihrem Kattunkleid, die Wärme ihrer Schenkel und den Unterton von Hass in ihrer Stimme. Nein, er war nicht in der Geborgenheit seiner Mama gelandet, sondern bei einer Frau! Er war ein kleiner Mann, und sie eine große, fremde Frau. Erst im Winkelzimmer, auf dem Bett, als Jonka sein Gesicht mit Wasser besprengte, kam er zur Besinnung. Er spürte, wie das Kissen zwischen seine Zähne rutschte und ihn zu ersticken begann. Er bekam Angst, er könnte dem Kissen Schmerz zufügen. Draußen das Licht sah einsam und verschattet aus. »Es wird Zeit, dass du endlich begreifst«, hatte Jonka geschimpft, »dass du keine Mutter hast!« Da hatte er zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl, dass er etwas verloren hatte! Hoffnungslos und ein für alle Mal. –
    Â»Du suchst sicher deine Autoschlüssel?«, fragte Neda kühl. »Du hast sie nicht verloren. Jana hat sie in der Hand.«

Zweites Kapitel
1
    In der letzten Reihe des Parketts, versteckt unter dem Schatten der überhängenden Loge, hatte er es sich in seiner Einsamkeit bequem gemacht. Mit ausgestreckten Beinen, lässig herabhängenden Armen, aber einem Herzen, das unruhig schlug. Die Probe verlief irgendwie schleppend und

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