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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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zerfahren. Das gab ihm Gelegenheit, abzuschalten und sich seinen Gedanken zu überlassen. Ziellos wie das Leiden des dänischen Prinzen vagabundierten sie durch die Dunkelheit. Die Tragödie dieses gesichtslosen und unentschlossenen Typen, der sich benahm wie ein Schwuler, der irgendwie trotzdem ständig Kinder zeugte, ärgerte ihn schrecklich. Da hatte er doch ganz andere Sorgen. Minister Sdravkov, sein Chef, setzte ihm übel zu. Mit der Verachtung des geistig Unterlegenen hasste der ihn bis aufs Blut, hatte aber aus demselben Grund auch Angst vor Christo. Um ihn loszuwerden, beförderte er ihn – auf einen Posten in die Staatsanwaltschaft. Dort wurde er aus ähnlichen Gründen wieder befördert-versetzt, und zwar – zurück ins Justizministerium. Nach diesen Beförderungen saß ihm der Minister derart dicht im Nacken, dass er ihn als eine Art ständiger Bedrohung im Hinterhalt empfand. Mit großer Wahrscheinlichkeit arbeitete der Minister daran, ihm einen Konsulatsposten in irgendeiner gottvergessenen afrikanischen Bananenrepublik zuzuschanzen, gleich neben der Serengeti mit ihren Safaris, wilden Tieren und atemberaubenden Sonnenuntergängen, ihren verschlagenen Hyänen, faulen Löwen und bettelarmen Einwohnern. Nur dass Christo diese Hinaus-Beförderung dankend ablehnen würde. In einer Unterredung kam scheinbar zufällig, im Grunde aber wohlinszeniert heraus, dass der Sohn von Professor Alexander Weltschev und Enkel von Akademiemitglied Kotzev für die bulgarische Stasi arbeitete. Sdravkov bekam nur nicht heraus, ob als einfacher IM-Spitzel oder als fest in die Struktur des Amtes eingebundener Offizier, als fiese kleine Petze oder als Rasse-Spürhund mit feiner Nase. Bauer oder Dame – oder Bauer, der drauf und dran war, sich in eine Dame zu verwandeln? Die Ungewissheit ist, da wir sie nicht kontrollieren können, immer quälend und bedrohlicher als selbst die schlimmste klar erkannte Gefahr. Als Büroleiterin hatte Sdravkov eine sechsundzwanzigjährige Schönheit eingestellt und sie unverzüglich zu seiner Geliebten gemacht. Höchst generös hatte der Minister versucht, sie Christo unterzuschieben, damit sie für ihn herausfand, zu welchem Zweck die bulgarische Stasi ihn in den Kreis seiner Berater erhoben hatte und welche kleinlichen Händel er gegen ihn ausheckte. Christo hielt dieser Belagerung mit demütig gesenktem Blick und unerschütterlicher Moral tapfer stand. Zum Ausgleich ging er mit Mariana Ilieva von der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit ins Bett, einer ehemaligen Journalistin. Ilieva war eine geschiedene Frau voller Leidenschaft mit seidiger Haut und erzählfreudigen Schenkeln, deren blendende Schönheit vervollkommnet wurde durch traurige Sklavinnenaugen. Auf einer Dienstreise nach Kuba gelang es Christo nach dem Besuch des pulsierenden kaffeebraunen Tanzvarietés Tropicana , sie nun seinerseits dem Minister unterzujubeln. Auf diese Weise brachte er bald in Erfahrung, dass Sdravkov für den Bau seines zweigeschossigen Landhauses mit schmucken Erkerchen und einer riesigen Terrasse nur lächerliche zwölftausend Leva hingeblättert hatte. So viel kostete ein kleines Plattenbauappartement von sechzig Quadratmetern! Der Direktor der Sofioter Baufirma SOFSTROY, die diese Villa errichtet hatte, hatte einen Bruder, der dabei ertappt wurde, »kleine Geschenke unter Freunden« dafür einzustreichen, dass er im Stadtviertel Rakovski illegal Wohnungen im Namen der Gemeinde vergab. Durch die mächtige Protektion Sdravkovs waren die staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen diesen fleißigen und für seine Geschenke so dankbaren Sympathieträger rasch eingestellt worden, und das Gericht hatte ihn freigesprochen.
    Das Wort »Spitzel«, das unablässig in seinem Kopf pochte, erfüllte ihn mit masochistischer Lust. Christo hatte längst begriffen, dass eine Information für ihn umso nützlicher war, je hässlicher und entlarvender sie für sein Objekt war. Die wirklich wichtige Information behielt er aber stets für sich. Den Stasi-Dusseln von der Sechsten Abteilung schob er das zu, was zu hören sie erwarteten, weil sie es durch eigene Nachforschungen bereits herausgefunden hatten. Major Grigorov war längst zum Oberst befördert worden, und die Ernennung zum General würde sicher nicht mehr lang auf sich warten lassen. Sein Stellvertreter, Leutnant Petrov, war im Nachzug Major

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