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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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war’s denn die Tage bei Bobby?«, unterbrach Dessislava sie.
    Â»Wenn du auf deinen Schwindsüchtigen anspielst – der benahm sich wie ein Novize: Saß mit nem Glas Schweppes in der Ecke und hörte die ganze Nacht Kenny Rogers.«
    Â»Von wem redest du?«
    Â»Na, von Sim natürlich. Hat nicht eine einzige holde Maid angebaggert. Seine Treue deiner abwesenden Person gegenüber war für uns der absolute Partykiller. Wir kamen einfach nicht in Fahrt, und dabei hatte Bobby uns doch einen Abend à la Brüder Karamasow versprochen!«
    Â»Du meinst, Simeon ist nüchtern geblieben?«
    Â»Treu und trocken, stell dir vor. Hat zwei Liter Bitter Lemon in sich reingeschüttet und unüberhörbar für alle verkündet: ›Solange ich Hamlet bin, gehöre ich den alkoholfreien Getränken und Dess. Wenn die Tragödie vorbei ist, gehört Dess mir! Ich hasse mich und den Wodka, gebt mir Milch und Honig.‹ Nur dass Bobby keine Milch mehr gesehen hat, seit seine Mutter ihn abgestillt hat.«
    Sie hatten sich von der Theke entfernt und neben das Fenster des Foyers gestellt. Zwei Studenten aus dem ersten Studienjahr kauten auf einem Mohnhörnchen mit Marmeladenfüllung und schütteten flüssigen Weizenbrei obendrauf. Das war ihre Kalorienration für heute. Diese armen Jungs aus der Provinz verzichteten auf alles, nur nicht auf ihre echten Camel Filters. Dessislava war zu der Überzeugung gekommen, dass in der modernen Welt niemand mehr nach Gemütsruhe strebte, nach Austausch und Verständnis, sondern nur nach coolem Auftreten voller gespieltem Selbstbewusstsein. Der verheimlichte Hunger und der demonstrierte Luxus gaben ein Vorgefühl kommender Erfolge: Wir sind die Leute von morgen! Maja seufzte verhalten. Von der Rakovski-Straße strömte wie aus einem Dom gedämpftes Licht herein.
    Â»Sag mal, Maja«, lächelte Dessislava melancholisch, »was machst du eigentlich, wenn dich so ein Hungerhaken im Nebenzimmer flachlegen will, aber du kannst – sagen wir – seinen Mundgeruch nicht ab?«
    Â»Deine Fragen machen mich noch meschugge, weißt du das! Soll das jetzt eine Prüfungsfrage sein?«
    Â»Nee, eine unter Freundinnen.«
    Ophelia überlegte einen Moment. Uuuh, Nachdenken! Diese vertrackte und widerspenstige Bewusstseinstätigkeit machte ihr Angst. Sie kippte ihren Kaffee in einem Zug weg und steckte sich eine neue Zigarette an.
    Â»Wenn mir so ein Kranker auf die Pelle rückt, zieh ich meist die Nummer mit dem Psychostress ab. Männer sind ängstlich, Dess. Darum setzen sie auf den Überraschungseffekt und überfallen dich regelrecht. Das gibt ihnen das Selbstbewusstsein, sich für das starke Geschlecht zu halten. Ich schmeiß mich sofort hauteng an ihn ran und raune ihm verrucht ins Ohr: ›Na komm, Süßer, gehn wir ins Nebenzimmer, ich will dich vernaschen!‹ Sollst mal sehen, wie schnell seine Angriffslust vergeht und der Rammbock in seiner Hose knickt.«
    Â»Und wenn er sich nicht überrumpeln lässt?«
    Â»Tja, dann musst du leider mit ihm ins Nebenzimmer, und wenn es frei ist, deinen Worten auch Taten folgen lassen.«
    Â»Psychologisch wirklich ausgeklügelt, deine Methode, aber wohl leider mit zweifelhaftem Erfolg …«
    Dessislava verspürte einen dumpfen Kopfschmerz. Sie war schrecklich müde. Auf der Straße vor dem Fenster wurde es dunkel. Ein Omnibus fuhr zischend vorbei und bespritzte eine alte Dame in Trauer mit Dreck. Sie trug schwarze Strickhandschuhe und einen dunklen Hut mit zerzauster Feder und wirkte nicht weniger elend und verloren als der sich neigende Tag. Sie zog ein Spitzentaschentuch hervor und wischte sich damit die Schmutzspritzer vom Mantel. In ihren Bewegungen war keine Empörung zu lesen, nur Bitterkeit, Resignation und Angst.
    Â»Dess«, zitterte Majas Stimme in einer versteckten Bitte, »hilfst du mir dabei, eine richtige Ophelia zu werden? Ich bin zwar überdreht, aber nicht schizo. Mach irgendwas, damit ich schizo werde.«
    Â»Ich mach dich schizo«, erwiderte Dessislava unbestimmt. »Heut Abend komm ich zu Bobby.«
4
    Das Atelier des guten Bobby befand sich auf der letzten, der elften Etage eines jener Plattenbauten im neuen Wohnkomplex »Jugend 4«, die schon nicht mehr ganz so kastenförmig waren. Durch den schludrig verputzten Raum von der Größe eines Pferdestalls liefen die Heizungsrohre. Vom Balkon

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