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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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wegen Hamlet«, log er ungeschickt.
    Â»Eigentlich … komm ruhig, du bist mir die allertreueste Seele!«
    Â»Wirklich?«, fuhr Christo zusammen.
    Â»Wenn du nicht mein Cousin wärst, könnt’ ich mich glatt in dich verlieben.«
    Â»Ich bin ja dein hochgradig ferner Vetter zweiten Grades.«
    Â»Warum gleicht dieser Bastard von Simeon dir aber auch ganz und gar nicht?«
    Dessislava hatte ja keine Ahnung, auf welchen fruchtbaren Boden solche Bekundungen bei Christo fielen. Er lächelte lau, trank seinen Kaffee aus und steckte sich eine schwarze Gauloise an. Zwei Stangen im Monat rauchte er davon. Er hatte Verbindungen zum Flughafen-Zollamt und kaufte sie gegen amerikanische Valuta im dortigen Duty-free-Shop.
    Â»Was sagst du denn zur Perestrojka, Dess«, fragte er zu seiner eigenen Überraschung.
    Â»Na, ich hoffe, Gorbatschow setzt sich durch. Sende ihm jeden Abend gute Wünsche.«
    Â»Du glaubst ihm also?«
    Â»Ich glaube, dass sich irgendwann ja mal was ändern muss.« Der Teelöffel mit dem Tortenstückchen darauf verharrte melancholisch vor ihrem Mund. »Auch wenn er mir … wie soll ich sagen … Er kommt mir ein bisschen sehr selbstverliebt vor, als schaue er ständig in einen Spiegel und wolle um jeden Preis gefallen.« Das Tortenstück verschwand in ihrem Mund. »Jordan war vor einem Monat in der Sowjetunion. Weißt du, wie sie Gorbatschow dort nennen? – Balalaika!«
    Â»Sieh an, Balalaika, interessant, interessant. Muss mich dieser Tage mal bei Jordan melden und ihm Löcher in den Bauch fragen.«
3
    In einer dreistündigen »Tischprobe« setzte Dessislava die Feier im Schloss zusammen, bei der auf Betreiben Hamlets der Mord an seinem Vater einschließlich der Blutschande seiner Mutter von der fahrenden Theatertruppe als Stück im Stück gespielt wurde. Diese Szene war entscheidend für ihre Prüfung, da der Sozialistenheilige Sotirov dickköpfig auf Massenszenen Wert legte. Der gute Schauspieler mag sich in seiner Rolle entdecken, sodass er gleichsam nur sich selbst spielen muss; der Regisseur aber muss das Ganze im Blick haben, die Komposition des Textes in Raum und Zeit sehen und das aristotelische Prinzip der Einheit von Zeit, Ort und Handlung anwenden, beschwor der Allgewaltige seine Studenten unablässig. Das Festmahl am dänischen Königshof »verplemperte« sie auf einer der kleinen Werkstattbühnen. Für die Nebenrollen hatte sie Studenten im zweiten Studienjahr genommen, die sich noch nicht für Genies hielten, still und ergeben auf den langen Bänken an der Festtafel Platz nahmen und folgsam waren wie artige Kinder. Während der ganzen Zeit peinigte Dessislava das Gefühl, dass es um ihre eigene Mutter ging, die Beihilfe zur Vergiftung ihres eigenen Vaters geleistet hatte! Ihre Depression, die Depression des verlassenen Kindes, hatte unterbewusst ihre Macht als Regisseur verdrängt . Durch das Fenster quoll erdig-graues Licht. Die Studenten bemühten sich immerhin so weit, dass sie morgen mit ihnen auf die große Bühne gehen konnte.
    Sie hatte zwar noch einen ganzen Monat bis zur Premiere, ihr Staatsexamen fiel aber genau auf den Scheidungstermin ihrer Eltern. An diesem Morgen würden Jordan und sie »freiwillig« im Gerichtssaal erscheinen müssen. Mit der Apathie »vernünftig« gewordener Kinder würden sie bezeugen, dass ihre Eltern tolle Menschen waren, die vierzig Jahre lang glücklich miteinander gelebt hätten; neuerdings aber mache sich die Unvereinbarkeit ihrer Charaktere doch sehr störend bemerkbar … Und am Abend, nach dieser morgendlichen Festouvertüre, sollte Dessislava einen draufsetzen und ein derartiges Theaterfest steigen lassen, dass die ganze Schauspielakademie darüber redete.
    Sie ging mit Maja die Treppe hinunter zur Kantine. Ihre Ophelia reihte sich in die Schlange ein mit dem hungrigen Lächeln einer Hofdame, die seit zwei Monaten Diät hält.
    Â»Ich geb dir ein schönes Schokobiskuitteilchen aus«, grinste sie. »Du bist so ein dünnes Fädchen, da schaden dir hundert Kalorien schon nicht.«
    Â»Warum eigentlich nicht. Im Winter nimmt man ja so oder so viel mehr Kalorien zu sich, weil Obst und Gemüse furchtbar teuer sind. Der Winter ist überhaupt teuer, nimm nur die Winterkleidung! Der Sommer dagegen – leichtes Essen, leichte Fetzen: Da summt das Bienchen froh herum!«
    Â»Wie

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