Seelenasche
so ein Glas Himbeersirup mit Wasser aufgieÃt, sagt sie: âºGestern bin ich an eurem Vorgarten vorbeigekommen, Sim. Eure Rosen sind aufgeblüht. Die duften ja überirdisch!â¹ Ich schweige. Ich war ja verliebt in ihre Tochter, und die Blödheit der Mutter war Teil meiner Liebe. Hörst du mir auch zu, Dess?«
»Ja, ja, ist sehr interessant«, antwortete sie wie ertappt.
»Ich warte also, bis es dunkel wird. Unser Haus ist von âner hohen Mauer umgeben. Ich hangel mich da drüber. Hatte es eilig wie ein Dieb. Brach ein paar Stiele ab und raubte der Rosenbibliothek meines Vaters so ihre ausgewogene Ordnung. Keine Ahnung, seit wann er in der Tür stand. Ich hörte erst, wie er losschrie, und dann sah ich, wie er sich bückte und etwas Schweres aufhob. Ich renn los, bin schon an der Mauer, da trifft mich der Ziegelbrocken im Kreuz. Ich dachte, mich tritt ein Pferd und meine Wirbelsäule bricht durch. Mit Ach und Krach lande ich auf der StraÃe und krieche zur nächsten StraÃenecke.«
Wie schrecklich waren doch alle mit sich selbst beschäftigt, dachte Dessislava und hob unwillkürlich den Arm, als wolle sie sich schützen. Sogar ihr naiver und gebeutelter Hamlet war nun schon vierhundert Jahre mit nichts als sich selbst beschäftigt.
»Vater ist ein unglaublich gütiger Mensch«, endete Simeon. »Er schickt mir bis heute zwei Drittel seiner Bibliothekarspension, aber wegen seiner Rosen hätte er mich fast umgebracht. Umgebracht durch einen Ziegelstein, geworfen vom eigenen Vater. Fast wie bei Hamlet, Dess.«
Dessislava flehte darum, der Traurigkeit in seiner Stimme nicht zu erliegen, nippte an ihrem Rum und schwieg.
» Glaubst du mir jetzt, Dess?«
Müde drehte sie sich um. Die Studenten im zweiten Jahrgang hatten sie einiges an Nerven gekostet, der Lampenschädel über ihrem Kopf hatte ihr die letzte Kraft geraubt, und nun versuchte Sim, sie weichzuklopfen, indem er ihr Schuldgefühle machte im instinktiven Wissen, dass Schuld zwei Menschen genauso verbindet wie eine begangene Sünde, wie Hass oder ⦠Liebe.
»Bring mich irgendwohin«, flüsterte ihr der Prinz ins Ohr.
Aus dem Lautsprecher des Tonbands ergoss sich Kenny Rogersâ Country-Frohsinn.
»Mir ist langweilig«, sagte sie laut, »und Hamlet braucht Schlaf. Morgen muss er nämlich fit wie ein Turnschuh sein, weil er mit dem Geist seines Vaters zu sprechen hat.«
»Ich werde von einer Protestnote Abstand nehmen, wenn Ophelia am Hof bleibt«, reagierte Bobby und drückte deren Darstellerin an sich. »Wann hatte ich schon einmal die Ehre, allein mit einer Hofdame zu sein.«
»Natürlich kann sie bleiben. Es reicht völlig, dass du für sie irgendwo zwischen deinen Farben ein Paket Naturreis ausgräbst.«
Dessislava stand auf und nahm ihren Mantel vom Nagel an der Toilettentür. Simeons Pelz kam ihr reichlich gerupft und in Mitleidenschaft gezogen vor und sie vermeinte, den muffig-feuchten Geruch schlecht gegerbter Schafshaut zu riechen.
DrauÃen war es neblig. Der braune, erstickende Smog sah regelrecht fettig aus. Ein frostiger, unbestimmter Wind wehte. Die Plattenbauten erweckten den Eindruck wohlgeordneter Leere. Ein paar Stecklinge, die von den Wohneigentümern in Ableistung ihrer ehrenamtlichen Arbeit für die Gemeinschaft samstags gesetzt worden waren, hielten zäh dem unwirtlichen Winterwetter stand.
»Hör zu, Dess«, Simeons Stimme zitterte vor Obdachlosigkeit, »du musst mir endlich mal glauben! «
»Ist ja gut«, sagte Dessislava wie erstarrt. »Ich hab eine Freundin, deren Eltern in Libyen arbeiten. In deren Wohnung ist immer ein Zimmer frei.«
Die Tankstelle barg sich in ihrer trüben Neonlichthülle vor menschlichen Blicken. Sie nahmen ein Taxi. Simeon schmiegte sich an sie; dabei wirkte er unendlich schüchtern. Am Patriarchendenkmal im Zentrum stiegen sie aus, überquerten die Gleise der StraÃenbahn. Dessislava starrte auf das gegenüberliegende Mietshaus.
»Bei meiner Freundin ist Licht. Warte hier eine Minute auf mich, ich sag ihr nur Bescheid und komm dich dann holen. Da stehen richtige Betten aus dem Intershop drin, in dem Zimmer, und die Laken duften nach Lavendel, hihi.«
Sie lieà Simeon an der Ecke zur Graf-Ignatiev-StraÃe vor dem Denkmal des letzten mittelalterlichen Kirchenoberhauptes stehen, ging am Restaurant Zum Stadion vorbei und betrat dann den
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