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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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anzuziehen, und war sogar so nett, seine Narbe mit dem Hemd zu bedecken.
    Â»Das hätte ich nicht von dir gedacht«, sagte er in weisem Ton und spuckte auf den Boden. »Es stimmt also, was man von dir sagt: Du bist eine richtige Nutte, Dess!«
5
    Die einzige Veränderung im Atelier seit diesem ihrem letzten Besuch ließ ihr einen Schauer über den Rücken laufen. Über dem Bett hing jetzt ein menschlicher Schädel, in den auf widerliche Weise eine Glühbirne einmontiert war. Diese Zimmerbeleuchtung sah nicht nur gruselig aus, sie gab Dessislava auch das eklige Gefühl, dass jemand aus dem Jenseits sein Augenlicht auf sie richtete. Auf der Staffelei stand ein Bild, das vollständig in zerfallenden Grautönen gemalt war; vielleicht sah sie deshalb nur Nebel und Leere. Eine Parkbank, darauf ein angebissenes Hörnchen. Keinerlei Zusammenhang, nichts mehr …
    Bobby und Maja tanzten irgendwo, wo am wenigsten leere Flaschen herumstanden oder -lagen. Die Hände des Künstlers lagen auf ihren Schenkeln, doch die Ophelia-Darstellerin blieb stoisch gelassen. Entweder Bobby hatte sich nicht von ihrer Drohung abschrecken lassen, ihn zu »vernaschen«, oder Maja war einfach entkräftet von ihrer Reisdiät. Nüchtern wie ein Prophet, hockte Simeon über einem Bildband von Salvador Dalí und grübelte gerade über die weichen Uhren auf dem Bild Die Beständigkeit der Erinnerung nach. Wie er so unter dem leuchtenden Schädel saß, gemahnte er von ferne an Hamlet: Rätselhaft sah er aus, träumerisch und verlassen. Sie fläzte sich so dicht neben ihn, dass sie ihm ins Ohr atmete. Ihre Nähe belebte sich wie eine Parkbank mit einem angebissenen Hörnchen, das jemand liegengelassen hatte, der plötzlich fortmusste. Simeon machte einen Versuch, sie zu küssen, kapierte, dass das nicht lief, wich zurück, schaute vergrämt aus der Wäsche.
    Â»Warum, Dess?«, fragte er.
    Â»Keine Ahnung«, antwortete sie aufrichtig.
    Beklommenes Schweigen.
    Â»Ich erzähl dir mal was«, sagte er ebenso unerwartet wie pathetisch. »Weißt ja, dass ich aus Prowadia komme. Meine Eltern ha’m sich scheiden lassen, tja. Shit happens. Meine Mutter ist halt fünfundzwanzig Jahre jünger als mein Vater, hat sich ’nen Liebhaber gesucht. Mein Vater war Bibliothekar, bevor er in Rente ging. Seine Augen tränen ständig, vielleicht vom vielen Starren in Bücher. Dabei las er gar nicht gern, er ordnete lieber. In unserem Vorgarten hatte er Rosen gepflanzt. Das ist mir jetzt unheimlich wichtig, Dess, hörst du … Hörst du mir überhaupt zu, Dess?«
    Die Angesprochene nickte, dann nahm sie einen Schluck vom kubanischen Rum. Sie mochte ihn pur, nur mit einem Stengel Krauser Minze darin.
    Â»Mein Vater ist ein irrsinnig guter Mensch, aber arm. Wir leben von seiner Rente. Mein Stipendium reicht so eben für die Mensa und meine Zigaretten. Und jetzt das Drama … Wirst sofort verstehen, warum ich einverstanden war, den Hamlet zu spielen.«
    Er leckte sich über die Lippen. Ihm machte sichtlich etwas zu schaffen, denn er war geradezu grauenvoll nüchtern.
    Â»Ich hatte eine Freundin, Schülerliebe. Oder wie sagt Maja so schön: ›Sentimentale Erinnerung aus der grauen Vorzeit.‹ Jeden Samstag fuhr ich per Anhalter nach Prowadia, um sie zu sehen, aber ohne mich bei meinem Vater zu melden. Eine solche Verschwendung von Gefühl, Treue und Geld hätte ihn gebrochen, ja, regelrecht ruiniert. Übernachten tat ich bei Freunden, für die war ich schon als Student an der Schauspielakademie ’ne Berühmtheit … Ich futterte meine Krapfen und schüttete meinen Weizentrunk drüber, knutschte und knuddelte meine Freundin draußen in den Parks, bis sich uns die Welt vor Augen drehte, aber weiter ging ich nicht. Hatte null Ahnung, dass sie schon längst mit all denen gepennt hatte, bei denen ich heimlich übernachtete. Aber das ist nicht der dramatische Hauptkonflikt, Dess, meine betrogene Gutgläubigkeit läuft nur nebenbei. Illusionen sind wie Schwalben: Im Herbst zischen die immer ab in wärmere Länder. Hörst du mir auch zu, Dess?«
    Â»Aber natürlich, mein Lieber.«
    Sie war unruhig. Bedrücktes Getue stand Simeon nicht. Es hellte seine dunklen, rastlosen Augen auf und nahm ihm den Charme des Eroberers.
    Â»Einmal haben die Eltern meiner Freundin mich eingeladen. Wie ihre Mutter mir

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