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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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anzuzünden.
    Â»Petrov ist des Lobes voll von dir! Du seist fleißig, bemüht und arbeitetest redlich.«
    Â»Es freut mich, das aus Ihrem Munde zu hören.«
    Â»Und was jetzt? Du habest den Wunsch geäußert, wir sollten dich Minister Sdravkov gegenüber enttarnen. Was denkst du dir dabei? Das steht quer zu allen Prinzipien und Normen unseres Berufs.«
    Â»Dies hier ist nicht mein Beruf, sondern meine menschliche Pflicht«, sagte Christo pathetisch. »Minister Sdravkov möchte mich aus dem Justizministerium weghaben, ich stehe ihm im Weg. Er ist hinter einer Frau her, die in mich verliebt ist.«
    Â»Ja, da schau mal einer an!« Die Miene des Generals drückte wieder denselben Überdruss aus wie damals, vor über zehn Jahren, im Zimmer der Schuldirektorin. »Nicht, dass du dir das bloß einbildest, John Lennon?«
    Â»Ich bin mir ganz sicher … Ich kann Ihnen aber nur nützlich sein, wenn ich in seinem nächsten Umfeld bleibe.« Christo schlug die Beine übereinander, um zu verhindern, dass ausgerechnet hier, im Heiligtum der Macht, seine Harnblase überlief.
    Der General dachte nach, oder tat jedenfalls so. Mit der Voraussicht des vollendeten Zynikers verstand er ausgezeichnet, dass Christo da eine eigene, unbestimmte Rechnung offen hatte. Das, was dieser aufgetakelte Stenz da im Sessel von ihm wollte, war unzulässig – einerseits. Andererseits war es nützlich und durchaus wichtig für ihn zu wissen, was ein Minister so dachte und machte, besonders wenn er von einer Dienststelle war, die sich seinen Fühlern und Fangarmen entzog.
    Â»Ich will’s versuchen«, sagte er leise, wie zu sich selbst, und wies mit dem Finger nach oben, als hinge der Erfolg dieses Versuchs von Gott oder dem lächelnden Mann auf dem Porträt hinter ihm ab. »Gestern war ich im Theater und hab deine Tante, Entschuldigung, wollte sagen: Emilia Weltscheva gesehen. Tolle Schauspielerin.«
    Dies war ein Fingerzeig für Christo. Seit dem letzten heißen Sommer hatte er nicht einen Spitzelbericht über sie geschrieben. Grigorov lächelte ihm zu, um ihm zu bedeuten, dass er mehr über ihn wusste, als er ahnte. Seine Gesichtszüge waren unverändert scharf und raubvogelartig, dabei aber auch fein, und das verstärkte seine Ausstrahlung von Macht und Grausamkeit …
    Mariana hatte ihr Gesicht mit den Händen bedeckt und konnte nicht aufhören zu weinen. Langsam und bedrohlich neigte sie sich zum Spiegel, als wolle sie in ihm versinken, sich in ihrem eigenen Abbild auflösen und verschwinden.
    Â»Gekränkt hat er dich, dieser Kretin«, fluchte Christo hart und herzlos. »Aber das ist doch nicht alles, oder?«
    Sie wandte sich ab. Ihre schönen Augen waren geweitet von Schmerz und einer kaum aushaltbaren, animalischen Bitte. Sie schluckte einige Male, schnappte nach Luft.
    Â»Sdravkov hat mir gesagt, du arbeitest für einen von der Stasi, und hat mir geraten, mich vor dir zu hüten, du wärst ein Spitzel.«
    Christo gelang es nicht, herauszulachen. Sein Gesicht verzog sich hässlich im Spiegel.
    Â»Siehst du, da haben wir es doch. Ja, ich bin ein Spitzel, ein mieser Spitzel«, sagte er leise, mit Totenstimme. »Schlimmer noch, ich bin ein richtig fieser Denunziant! Sie haben mich schon als Schüler angeworben. Mein Pseudonym ist John Lennon. Ich hab auch über dich einen Bericht geschrieben – nur einen.«
    Mariana konnte nicht glauben, was sie da hörte. Ihr Gesicht flog zurück, als habe er sie geohrfeigt. Ein Stöhnlaut entrang sich ihr, ihre Finger glitten erfahren über den Reißverschluss ihres Rocks, die Knöpfe ihres Kostümjäckchens; sie zwängte sich heraus wie eine Schlange, die sich häutete. Dann warf sie sich ihm in die Arme, zog ihn an sich, umschloss ihn und gab ihm Zuflucht.
    Â»Mein Liebster, mein Einziger, ich kann nicht ohne dich, ich liebe dich«, flüsterte sie voller Gram und mit der Stimme einer schockierten Frau, einer leichten, einer käuflichen Frau, die ihrem Zuhälter ewige Treue schwört.
12
    Leise schloss er die Haustür auf, rief aber nicht hinein. Der Fernseher im Wohnzimmer war eingeschaltet, es lief die Übertragung eines Kongresses, auf dem zum ungezählten Male ein historischer Beschluss der Kommunistischen Partei und ihrer Regierungsvertreter in Sachen Perestrojka verlesen wurde. Perestrojka – Umbau des real existierenden

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