Seelenasche
den Plätzen im Park der Freiheit, obwohl er für diesen Sport gar nicht geeignet war. In seiner weiÃen Tenniskluft glich er einem Dorftrampel. Er war so plump, unbeholfen und kurzsichtig, dass die Bälle ihn oft auf dem falschen Fuà erwischten, wenn sie nicht gleich in seinem Bauch einschlugen. Das hinderte ihn aber nicht daran, sich immer wieder in die Brust zu werfen, wie toll doch seine Vorhand käme! Am liebsten spielte er mit Untergebenen, Jordan zum Beispiel, aber meist drückte er sich bei den anderen Chefs herum. Sie machten ihre Scherzchen mit ihm, foppten ihn und â was das Schlimmste war â bemitleideten ihn, sodass die sportliche Ertüchtigung in Sofias grüner Lunge ihm schwer an die Nieren ging.
Drei Abende im Monat widmete Gospodinov voll Widerwillen und seelischen Krämpfen diversen Pokerrunden, die sich regelmäÃig trafen, obwohl er dieses Kartenspiel hasste. GröÃer als die Angst, zu verlieren, war nur die Angst, gegen einen Höhergestellten zu gewinnen. Aber was wollte man machen? Pokerspielen verlieh einem den Nimbus des modernen und risikofreudigen Menschen, und da es aus diesem Grund unter vielen Intellektuellen beliebt war, gab es einem den Anschein eines solchen. Langsam, aber sicher trug ihm seine Spielstrategie einen dicken Minderwertigkeitskomplex ein, weil er es vorzog, wenig zu verlieren, als viel zu gewinnen, und viel zu gewinnen, als alles zu verlieren. Dieser gewaltsame Umgang mit seiner im Grunde naiv-romantischen Natur zerrüttete ihn seelisch. »Ich riskiere für mein Leben gern«, liebte er zu wiederholen, dabei versetzte ihn schon die kleinste Unsicherheit in Aufregung und brachte ihn ins Schwitzen.
Wie alle männlichen Wesen beim Fernsehen liebte der Chef es, des Langen und Breiten über Frauen zu reden. Er fühlte sich verpflichtet, alles anzumachen, was einen Rock trug und ihm in den Fluren über den Weg lief. Seine Sekretärin führte er auf eine Fleckensuppe ins Restaurant, und wenn sie auf Dienstreise gingen, war er immer in Begleitung irgendeines »jungen Sahneschnittchens«. Die detaillierte Beschreibung »praller, springlebendiger Möpse« oder von »Beinen, gegen deren Länge der Russische Boulevard eine kleine Sackgasse ist«, geschweige denn von Spitzenunterwäsche, die er angeblich eingehendster Prüfung unterzogen hatte, brachte ihn in die Nähe eines finsteren Fetischisten. Mit lauer Beharrlichkeit umgarnte er seine jeweilige Flamme, bis sie nachgab und sich einverstanden erklärte, seine Geliebte zu werden. Das aber war ein herber Schlag für Jordans Chef, weil der im Grunde monogam war und seiner dicken und unschönen Ehefrau treu bis ins Grab. Besagte Ehefrau arbeitete in der Geheimabteilung des Kriegsministeriums und benahm sich zackig wie ein hochrangiger Offizier. Man konnte sich also den tödlichen Stress vorstellen, unter dem der Chef stand, um seinen Ruf als alter Schwerenöter wenigstens für den Augenschein zu verteidigen. Diese schreckliche Belastung lieà ihn wohl am stärksten altern.
Die positivste Eigenschaft des Chefs aber, das Fundament seines Wirkens sozusagen, bestand in seiner erhabenen Fähigkeit, nichts zu tun. Seine Redaktion war groà und heikel, und ein fleiÃiger, aber durchschnittlicher Chef konnte den ganzen Betrieb lahmlegen. Die sicherste Methode für Jordan, seinem Vorgesetzten ein Thema für den Runden Tisch schmackhaft zu machen, bestand darin, ihm zu suggerieren, dieser habe es sich ausgedacht. Wesentlicher Bestandteil seiner Vorgesetztenpflicht war es, die Verantwortung für die Arbeit der Redaktion zu übernehmen, was ihm höchst unangenehm, ja, beinahe verhasst war. In der untersten Schublade seines Schreibtisches befand sich stets eine Schachtel Pralinen, von denen er aber nur heimlich aÃ. Seine Schwäche für SüÃes kam ihm selbst kindisch vor, und sündig obendrein. Daher hasste er es besonders, wenn ihn jemand zufällig dabei ertappte, wie er sich genüsslich eine Praline im Munde zergehen lieÃ. Dann brauste er auf, hielt umständliche Standpauken und wiederholte notorisch das letzte Wort eines Satzes, bevor er weiterschimpfte. Seine Leute aber wussten, dass er wirklich gefährlich nur dann war, wenn er kalauerte, oder wenn er lieb und fürsorglich wurde. Bevor er einen Mitarbeiter entlieÃ, überhäufte der Chef ihn mit Komplimenten und lobte ihn in den Himmel.
Ein
Weitere Kostenlose Bücher