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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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namenloser Schleimer hatte ihm eingeredet, er könne geistreich Witze erzählen. Das hörte sich etwa so an: »Stell dir vor, Weltschev, ha, haaa … Treffen sich zwei auf der Straße. Fragt der eine: ›Wohin gehst du eventuell?‹ Sagt der andere: ›Zur Arbeit unter Umständen!‹ Ha, haaa, der ist stark, was?« Jordan lachte nicht. Gospodinov war’s trotzdem zufrieden, hatte er doch sich selbst Vergnügen bereitet, etwas, was ihm nur bei Untergebenen gelang, und auch da nur selten. Er kaufte Gemälde, die er nicht mochte, denn auch die Kunstsammlerei war modern und galt als Zeichen von Stil und Vornehmheit. Er machte die Bekanntschaft berühmter Persönlichkeiten, die ihn schlicht langweilten, las Bücher, die Furore machten, um mitreden zu können und tiefschürfend zu erscheinen. Mit einem Wort: Dieser mächtige Mann war zutiefst unglücklich.
    Im Augenblick also trank er seinen Kaffee in kleinen, provozierenden Schlückchen, stellte den Plastikbecher langsam auf der riesigen Schreibtischplatte ab, auf der nur seine Diensttelefone, ein Schlüsselbund, ein Stapel leerer Blätter, ein Kugelschreiber und seine Armbanduhr lagen. Vor Müdigkeit rieb er sich die Schläfen, dann zog er aus der Tasche seines herabbaumelnden Sakkos seine pflanzlichen Beruhigungstabletten aus Baldrian, Weißdorn und Minze. Er schluckte zwei davon ohne Wasser und machte beim Schlucken eine Miene, als wäre es Rattengift.
    Â»Mein Herz ist gesund«, warf er dozierend ein, »aber die Nerven, mein Bester, die Nerven …«
    Jordan stand höflich lächelnd vor ihm. Vor dem Eintreten hatte er angeklopft und aufs »Herein!« gewartet, damit Gospodinov die Pralinenschachtel schnell in der Schublade verstecken konnte. Eigentlich mochte er seinen Chef. Der Chef erfasste seine Vorschläge nach zwei Worten, schätzte ihren Wert im Handumdrehen ein, und wenn ihm auch kurz und heftig der Angstschweiß ausbrach, so erklärte er sich doch bereit, sich mit Jordan in die Verantwortung zu teilen.
    Â»Wo warst du denn Mittwoch? Hab dich auf dem Tennisplatz vermisst«, warf er spielerisch hin.
    Â»Musste meine Tochter vom Kindergarten abholen.«
    Â»Kleine Kinder, kleine Sorgen … Erzähl mir nichts. Mir brauchst du nichts zu erzählen, mein Bester.«
    Jordan schwieg. Die Großherzigkeit, mit der sein Chef geruhte, liebenswürdig zu ihm zu sein, hatte ihn am Anfang in Spannung versetzt; nun stürzte sie ihn bereits in schwere Besorgnis.
    Â»Hast du schon die Neue beim Kulturjournal gesehen? Eine Göttin … unglaubliche Titten, so leicht asymmetrisch – zum Seekrank-Werden, mein Bester! Wie wunderbar, dass der Mensch ein Säugetier ist.« In seine Stimme schlich sich ein Unterton von Widerwillen. »Anelia ist mir über. Sie ist einfach zu intellektuell. Schrecklich, wenn eine Frau im Bett anfängt, von Ionesco zu reden oder von Thomas von Aquin, findest du nicht?«
    Jordan trat verlegen von einem Bein auf das andere. Sein Chef spürte, dass er ihm nicht glaubte, aber das würde keine Folgen haben. Anelia war ein gutes, anständiges Mädchen, das nicht die geringsten Absichten hatte, mit dem Chef ins Bett zu gehen; es war also alles in bester Ordnung. Die Retro-Show aus New York war zu Ende, jetzt tauchte der klobige Zapfen eines Atom-U-Boots auf dem Bildschirm auf. Gospodinov kratzte sich hinter dem Ohr, nahm den Kugelschreiber und kritzelte etwas auf das vor ihm liegende Blatt, nur um es anschließend in einer heftigen, geradezu wütenden Zickzackbewegung durchzustreichen.
    Â»Ich hab dich herbestellt, weil wir ernsthaft reden müssen.« Seine leicht kurzsichtigen Augen klebten wie Saugnäpfe an Jordan. Schließlich hielt der Chef selbst seinen durchdringenden Blick nicht mehr aus, senkte den Kopf und gab den Blick auf seine kupfern schimmernde Glatze im Haarkranz frei. »Ich sehe, du bist ungeduldig, also will ich dich nicht länger auf die Folter spannen. Ich habe den Eindruck, es ist Zeit, deinen Runden Tisch ein bisschen aufzupolieren, mein Bester.«
    Â»Vielleicht ein bisschen die Perestrojka und das ›neue Denken‹ in der Sowjetunion …«
    Â»Nein, nein, politisch hatte ich mit dir nie ein Problem, politisch bist du unerschütterlich und fest wie Beton. Aber – da ist etwas … Bin persönlich begeistert von dir, Weltschev, aber – du wiederholst dich, wirst

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