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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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mehr wartete man. Er ließ Whisky ins Glas gluckern, tat Eis hinzu und starrte mit finsterer Miene auf den ausgeschalteten Fernseher. Der verströmte etwas Totes und Pseudoweises, als wäre er das von grauem Star befallene Auge eines uralten Mannes. Es ging auf elf Uhr zu. Er schlurfte zum Telefon und wählte Grischas Nummer.
    Â»Ja bitte?« Die Stimme Andreas klang empört.
    Â»Entschuldige«, murmelte Jordan, »ich würde gern deinen Mann sprechen. Es ist wichtig.«
    Andrea erkannte ihn an der Stimme. Ihr ferner Sopran bekam Wärme. Ihr Schuldgefühl wehte ihn an.
    Â»Tut mir leid, Grischa hat heute Abend Dienst im Krankenhaus.«
    Moment mal, fuhr er zusammen: im Krankenhaus? Heute Abend war doch Gruppe?
    Auf einmal kam Jordan die Erleuchtung. Er sah die beiden im Auto, beschienen vom Mond und ihrem zersetzenden Gram, gereinigt vom Erlebnis der Aufrichtigkeit der seelisch Gestörten, die von sich selbst erzählten, um Kontakt zur gleichgültigen Welt zu bekommen. Es schüttelte ihn. Er hörte ihre Worte, voll abartigen Mitleids für ihn; ja, er war ihnen teuer, sie brauchten ihn händeringend, da ohne ihn ihre Beziehung gegenstandslos wurde, etwas Gemeines und Sündiges wurde, eine ganz durchschnittliche Untreue halt.
    Sie sprachen bestimmt über ihn, weniger tadelnd oder schimpfend als besorgt wie Eltern, die sich über die Wiege ihres kranken Kindes beugten. Sie küssten sich unbeholfen und verziehen ihm letztlich auf diese Weise. Sie lauschten in die kühle Stille, berührten sich ebenso scheu wie unersättlich, aber – das war keine Untreue, die Neda da beging, und auch Grischa wollte ihm keine Hörner aufsetzen, nein, sie wollten ihn mit sich heilen.
    Er kannte den blassen, beinah phosphoreszierenden Schein, der von ihrem Körper ausging, als ob es innen in diesem dürren Leib mit den knochigen Schultern und den kleinen Brüsten einen glühenden Kern gab. Vermutlich umschlang sie Grischa regelrecht, um Jordan zu verzeihen, um die Erinnerung an ihn zwischen ihren Leibern zu zerdrücken, in ihrem Schweiß zu ertränken … Dann kam der Augenblick, in dem sie alle drei im Ausbruch der Leidenschaft ineinanderflossen, der Moment der absoluten Tabula rasa. Neda und Grischa würden sich danach schamhaft ankleiden, bereit, mit kaum verhüllter Erleichterung zu sagen: »So müsste er sein, verletzt und bestraft. Ja, das jetzt war der wahre Jordan Weltschev; der andere, das war bloß eine Fiktion, erzeugt von den elektromagnetischen Wellen, die ihn vervielfältigten und als Symbol der Präsenz und des Erfolgs in jeden Haushalt mit Fernsehgerät strahlten.«
    Er vermutete, sie würden einander wohl anlächeln, mitfühlend und schüchtern, um zu beweisen, dass ihr Lächeln anders war als das seine, nämlich intim und voller Wärme, während das seine nur von zweifelhafter Macht und Entfremdung kündete. Nachdem sie ihn geheilt hatten, war Jordan unter ihnen bereits gesund, also unglücklich, gezeichnet von erlittener Schmach, ein normaler Mensch eben, ihr Ehemann und sein Freund. Er, Jordan, war also keineswegs beschmutzt durch ihrer beider Nähe, sondern vielmehr gereinigt wie altes Silber von der Patina des Narzissmus und des Egoismus. Nun konnte Neda das bemerkenswerte Paradox, das Erich Fromm einmal formuliert hatte, abwandeln und sagen: »In der Liebe verwirklicht sich das Paradox, dass drei Wesen eins werden, und dabei doch drei bleiben.«
    Irgendwo dort, am Fuße des Witoscha, unter dem schweigenden, sternenübersäten Himmel war sie durch alle Stadien ihrer Liebe gegangen: Fürsorge, Verantwortungsgefühl und – am wichtigsten – Erkennen. Unermüdlich hatten sie Jordan erkannt in ihrer Leidenschaft, hatten ihn fürsorglich bespuckt und erniedrigt, um ihn annehmen zu können, voll tiefem Verantwortungsgefühl hatten sie seine Süffisanz zerrieben und ihn zum Zeichen ihrer Annäherung gemacht. Ja, sie hatten ihn nicht nur bei sich geheilt, sie hatten sich gar für ihn geopfert .
    So weit, so gut – nur dass er, nachdem ihm dieser Gospodinov am Morgen einen solchen Tritt versetzt hatte, nicht mehr er selbst war. Er hatte ihn total abgezogen. Nun war er ein Nichts, eine Leere, ein ausgeschaltetes TV-Gerät war er. Mit dieser Beförderung, die er ihm da in Aussicht gestellt hatte, würde er ihn abstrafen! Zweimal in der Woche hatte er ihn in das kahle,

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