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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Gedanke, dass er betrunken war, gab ihm den nötigen Kick des Glücksspielers. Er schaltete das Autoradio ein und fuhr los. Er konnte fahren, wohin er wollte, was real bedeutete, dass er kein Ziel hatte. Dieser Widerspruch schärfte seine Konzentration. Die Ausweglosigkeit ungezählter Möglichkeiten beruhigt, während es Stress erzeugt, nur einen Ausweg zu haben. Er nahm die Chaussee nach Simeonowo, bog in die Autobahn ein, die um die Studentenstadt herumführte, und da fiel ihm ein, dass er weder Geld noch Zigaretten eingesteckt hatte. Ausgerechnet jetzt hatte er ein so tierisches Verlangen nach einer Zigarette, dass er alles für einen Glimmstengel gegeben hätte. Da erinnerte er sich, dass irgendwo in den Betonmeeren von Mladost 3 seine Mitarbeiterin Sima wohnte. Zweimal war er in ihrer Mansarde gewesen, um in die Aura einer intelligenten, einsamen Frau einzutauchen.
    In dem gesichtslosen Labyrinth aus grauen, eintönigen Plattenbauten und verödeten Grünflächen verlor man sich, hatte das Gefühl, aus der Zeit zu fallen. Er verließ sich auf seinen angeborenen Orientierungssinn und darauf, dass es selbst hier nicht mehr als fünfzehn Hochhäuser mit genau fünfzehn Etagen geben konnte. Er parkte vor einem Kindergarten mit frisch gestrichenen Klettergerüsten. Es war kühl geworden. Der Wind strömte durch die Täler zwischen den Häuserriesen dahin wie ein Fluss.
    Der Aufzug ging. Dies Wunder erfüllte ihn mit Optimismus. Von den Wänden des langen Korridors fiel der Verputz, wenn sie nicht mit kläglichen Graffiti und anderen Kritzeleien beschmiert waren. Vor den Wohnungstüren standen ausgetretene Schuhe. Um ein Haar wäre er in einen Hundehaufen getreten. Er fand Simas Tür und klingelte zuerst kurz, dann legte er sich mit dem ganzen Gewicht seiner Verzweiflung auf den Klingelknopf. Verschlafen und im Nachthemd, aber ohne den gespenstischen Schleier der Kosmetik, kam ihm Sima vollkommen nackt vor. Sie wirkte fülliger, und wehrloser.
    Â»Um Himmels willen, Jordan!« Ihr Erschrecken ging bald über in mütterliches Lächeln. »Das gehört sich aber nicht, zu nachtschlafener Zeit bei einer Dame Sturm zu läuten.«
    Â»Du bist keine Dame«, antwortete Jordan außer Atem, »sondern Regisseurin.«
    Er stahl sich hinein wie ein Dieb. In Simas kleinem Wohnzimmer roch es flauschig nach nachlässiger Wachheit, entkleideter Frau und warmem Bett. Auf dem Nachttischchen lag ein angelesenes Buch, durch den Rattanschirm der Deckenlampe verbreitete sich ein nervöses, kratziges Licht. Der Angorakater betrachtete ihn aus seinem Sessel mit grünen, wie aus dem Jenseits kommenden Augen. Jordan ließ sich ohne weitere Umstände ins Bett fallen. Die Laken beruhigten ihn, hatten sie mit ihrer weißen Reinheit doch etwas Bergendes, etwas von Zukunft voller Vergessen.
    Â»Möchtest du was trinken?«
    Â»Hab eher Lust auf eine Zigarette.«
    Sie öffnete ihre Bar, nahm eine Schachtel Marlboro heraus und eine Flasche finnischen Wodkas, zwei Gläser und ein Metallschälchen in Muschelform mit Erdnüssen. Ihre Brüste waberten unter dem dünnen Nachthemd, ihre Pantoffeln wirkten riesig, fast männlich an ihren Füßen. Sie schwiegen. Sima wirkte irritiert, schien sich zu schämen. Jordan beeilte sich, einen Schluck zu trinken. Es gelang ihm nicht, in ihre dunklen Augen zu schauen, die wirkten, als hätten sie sich im Halbdunkel aufgelöst. Er wusste, dass sie ihn mochte; in seiner gehetzten und flüchtigen Präsenz wurde sie jedenfalls immer traurig. Verräterisch, unpassend traurig. Sie war eine heimliche Romantikerin und hatte ein für moderne Frauen altmodisches Hobby: Sie las Bücher. Jetzt, in diesem Moment verbreitete sich ihre Traurigkeit, verletzlich und leidvoll, mit dem Zigarettenrauch im ganzen Zimmer. Es war gemein von ihm gewesen, einfach so zu ihr zu gehen und sie so unvorbereitet, fast wehrlos und in Hauspantoffeln aufzustören. Jordan spürte, dass er etwas tun musste, andernfalls würden sie anfangen, sich zu hassen. Er drückte seine Kippe im Aschenbecher aus und klopfte auf den Platz neben sich. Das war ziemlich dreist, sogar zynisch von ihm.
    Â»Komm her.«
    Er drückte sie aufs Bett, verdrehte ihr die Arme, verursachte ihr völlig unnötigerweise Schmerz, denn Sima wehrte sich ja gar nicht. Sie richtete sich auf, um ihm zu helfen. Ihrem Körper entströmte

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