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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
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verwundert.
"Nein", er schüttelte den Kopf. "Ich habe morgen schon etwas Anderes vor", sagte er. "Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen aber eine genauere Beschreibung der Täter geben, immerhin hatte ich ausreichend Gelegenheit, sie in dem Café zu beobachten."
Das brachte Valerie auf den nächsten Gedanken. "Haben Sie ihnen etwa Alkohol serviert?"
Er schüttelte nur den Kopf. "Bei uns können Sie höchstens einen Eisbecher mit ein wenig Likör bekommen. Nein, die Jungs kamen schon angetrunken an. Zunächst waren noch zwei Mädchen dabei gewesen, aber sie sind gegangen, kurz bevor Sie gekommen sind. Wahrscheinlich haben sie schnell gemerkt, dass die beiden Jungen keine geeigneten Partner für sie wären."
Valerie staunte über seine eigenartige Ausdrucksweise, dachte aber, dass es womöglich daran lag, dass er die Sprache noch nicht so gut beherrschte. "Ich glaube, ich kann jetzt wieder gehen", sagte sie und stand auf.
Er warf ihr einen prüfenden Blick zu, schien mit dem Ergebnis zufrieden zu sein und erhob sich ebenfalls. Dann klopfte er sich den Staub von der Hose. Dabei fiel Valeries Blick auf seine Hände und sie versuchte, etwas von der Tätowierung auf seinen Handgelenken zu sehen. Doch diese war sicher unter den langen Ärmeln verborgen. War das vielleicht der Grund dafür, dass er selbst in der sengenden Hitze langärmlige Hemden trug? Er hatte es eine Erinnerung genannt, vielleicht wollte er nicht ständig erinnert werden.
"Sind Sie soweit?" fragte er sie geduldig.
"Ja, klar." Valerie setzte sich in Bewegung. "Hätten Sie die Jungs wirklich verprügelt, wenn sie nicht weggelaufen wären?" fragte sie plötzlich.
"Nein, vermutlich nicht", gab er offen zu. "Ich kann nicht gut kämpfen."
"Aber Sie haben so selbstsicher gewirkt", sagte Valerie erstaunt.
"Sonst wären sie auch nicht weggelaufen. Einfachste Psychologie."
"Sie verstehen was von Psychologie?"
"Ein wenig, es ist nicht schwer."
Valerie lachte. "Das haben Sie auch über Kaffee gesagt."
"Es gibt da schon ein paar Unterschiede", erwiderte er.
Valerie warf ihm einen Blick zu, um zu sehen, ob er scherzte, aber er war vollkommen ernst geblieben. Vermutlich brauchte es etwas mehr, um seine eigenartige Traurigkeit zu vertreiben.
Eine Zeitlang gingen sie schweigend neben einander her. "Da vorne, in dem Haus wohne ich", sagte Valerie schließlich, als sie ihren Häuserblock erreichten.
"Gut", er blieb stehen. "Ich warte hier, bis Sie zur Haustür gehen."
"Wieso denn das?" fragte Valerie erstaunt.
"Sie kennen mich nicht", sagte er schlicht. "Es wäre also unvorsichtig von Ihnen, mir zu zeigen, wo genau Sie wohnen."
"Aber Sie haben mich doch gerade gerettet", warf sie ein.
"Dennoch können Sie nicht wissen, was ich beabsichtigen könnte. Es ist eine gefährliche Welt."
Valerie sah ihn beunruhigt an. Versuchte er gerade, sie zu warnen? Aber das war doch absurd. Ihren ursprünglichen Ängsten zum Trotz konnte sie sich nicht vorstellen, dass er ihr, oder jemand anderem, etwas antun könnte. Er war so ruhig, so zurückhaltend, so darauf bedacht, niemandem irgendetwas aufzuzwingen. Selbst seine Augen jagten ihr keine Angst mehr ein. Sie wunderte sich flüchtig, seit wann das so war. Nein, vermutlich wollte er bloß nicht, dass sie in seine Hilfe etwas Anderes hineinlas, als es war. Deswegen wollte er vermutlich die Möglichkeit, sie würde ihn noch hinauf bitten, im Keim ersticken. Valerie schoss das Blut ins Gesicht. Als ob sie das jemals vorgehabt hätte! Er hatte Recht, es war wichtig, von Anfang an für klare Verhältnisse zu sorgen. Dennoch wollte sie sich bei ihm irgendwie für seine Hilfe bedanken.
"Danke, dass Sie mir geholfen haben und auch für den Begleitschutz nach Hause", sagte sie.
"Seien Sie das nächste Mal einfach etwas vorsichtiger", erwiderte er. "Das Leben ist so kostbar", fügte er plötzlich hinzu. Valerie hatte das Gefühl, als hätte er noch mehr sagen wollen, doch er blieb stumm. Als sie in sein Gesicht blickte, sah sie, dass er mit seinen eigenen Emotionen kämpfte. Nur mit Mühe widerstand sie der Versuchung, ihn tröstend am Arm zu streicheln.
"Kann ich Sie vielleicht einmal zu einem Mittagessen einladen?" fragte sie einem plötzlichen Impuls folgend. "Als Dank", fügte sie schnell hinzu, als sie seinen zweifelnden Blick spürte.
Er sah sie lange an. "Das ist wirklich nicht nötig", sagte er schließlich. "Sie sind mir nichts schuldig."
"Aber mir bin ich es", sagte Valerie. "Als kleine Feier, dass alles noch gut gegangen ist."
Er zögerte

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