Seelenband
heißen Sie?" fragte sie ihn, als er eine große dampfende Tasse vor ihr abstellte.
Er blickte sie überrascht an. "John", sagte er jedoch schließlich.
"John?" fragte sie ungläubig nach. Sie hätte mit allem gerechnet, nur nicht mit so einem Allerweltsnamen.
"Ja, was stimmt damit nicht?" fragte er leise.
"Sie sehen nicht aus wie ein John", platzte es aus ihr heraus.
"Tausende Menschen tragen die gleichen Namen, sie können doch nicht alle gleich aussehen", erwiderte er ernst.
"Stimmt", lächelte Valerie. "So habe ich das noch nie gesehen."
Er warf ihr einen verwirrten Blick zu, den sie nicht einzuordnen wusste, aber sie ließ sich davon nicht entmutigen. "Ich bin Valerie", sie streckte ihm die Hand hin. Seine Hand war warm und fest, als er die ihre leicht drückte. Es fühlte sich gut an, fand Valerie.
"Sind Sie schon lange hier?" fragte sie ihn.
"Wieso?" Ein alarmierter Ausdruck huschte über sein Gesicht, die heftigste Gefühlsregung, die sie je bei ihm gesehen hatte.
"Nur so", sie zuckte beschwichtigend mit den Schultern. "Sie sehen nicht ganz so aus, als würden Sie hierher gehören, daher frage ich."
"Ich arbeite erst seit einigen Monaten hier", erklärte er knapp.
Valerie merkte, dass ihm das Thema unangenehm war. "Auf jeden Fall machen Sie tollen Kaffee", sagte sie daher und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.
"Danke, aber das ist auch nicht schwer", erwiderte er.
Sie nahm wieder einen Schluck. Er sah ihr schweigend dabei zu und plötzlich schien er sich einen Ruck zu geben. "Sie sehen aus, als hätten Sie heute etwas Anderes vorgehabt", sagte er auf einmal und die Anstrengung, die ihn dieser eine Satz gekostet hatte, war für Valerie fast körperlich spürbar.
Sie lächelte dankbar für seinen Versuch. "Ich hatte gerade ein furchtbares Date."
"Haben Sie sich mit Ihrem ..." er zögerte kaum merklich " ... Freund gestritten?"
"Oh nein!" Valerie schüttelte energisch den Kopf. "Es war die erste Verabredung und es wird definitiv keine weitere mehr geben."
"Sie hatten also keine Gefühle für ihn?" fragte er und wirkte dabei aufrichtig neugierig. "Wieso sind Sie dann mit ihm ausgegangen?"
"Ich fand ihn sympathisch", erwiderte Valerie pikiert. Diese Fragen gingen jetzt doch ein wenig zu weit. Sie ging selten genug mit einem Mann aus, da musste sie sich nicht auch noch vor einem Wildfremden dafür rechtfertigen.
"Verzeihen Sie, es geht mich natürlich nichts an", sagte er sofort, als ob er ihren Stimmungsumschwung gespürt hätte, und zog sich von ihr zurück. Ein anderes Wort fiel Valerie einfach nicht dafür ein, wie er jede Lebendigkeit, die bei ihrem kurzen Gespräch zum Vorschein gekommen sein mochte, wieder in seinem Inneren verschloss. Nur sein Blick glitt kurz zu den beiden Jugendlichen herüber, die auffallend still in ihrer Ecke geworden waren.
Valerie nahm den letzten Schluck aus ihrer Tasse. "Ich muss jetzt los", sagte sie und legte das Geld für den Capuccino auf den Tresen.
"Ich rufe Ihnen ein Taxi", sagte er unvermittelt, als sie sich erhob.
"Das ist nicht nötig", winkte Valerie ab. "Ich hab's nicht weit."
"Wollen Sie nicht trotzdem ein Taxi nehmen?" fragte er irgendwie beschwörend. "Es wird langsam dunkel."
"Ich komme schon klar. Auf Wiedersehen."
Bevor sie sich abwandte, glaubte sie zu sehen, wie er resigniert mit den Schultern zuckte. "Ich hab's ja versucht", schien diese Geste ihr zu sagen.
Draußen hatte die Dämmerung tatsächlich schon eingesetzt. Die letzten Strahlen der Sonne zauberten am Horizont noch Streifen aus leuchtendem Orange und Purpur, doch direkt über Valerie war der Himmel schon recht dunkel. Sie schlang sich die Arme um den Oberkörper, die Luft hatte sich nun doch etwas abgekühlt, und ging energisch los. Die Straßen waren fast menschenleer, da sie sich nun außerhalb der Kneipen- und Clubmeile befand, aber das machte Valerie nichts aus. In knapp zehn Minuten würde sie zu Hause sein. Sie beschleunigte noch ein wenig ihren Schritt, um sich durch die Bewegung warm zu halten.
"Ist dir etwa kalt, Süße?" rief plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Valerie spürte, wie sich ihr Rückgrat automatisch versteifte, doch sie schaffte es, ganz normal weiterzugehen, als ob sie es gar nicht gehört hätte.
Ignorieren
hieß die erste Regel aus ihrem Selbstverteidigungskurs.
"Bleib doch stehen und ich wärme dich auf. Ich mache dich sogar heiß!"
Ignorieren half also nicht. Valerie beschleunigte ihren Schritt, nun lief sie schon fast. Ihre Absätze klackerten gespenstisch auf dem
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