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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
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kommen.
So oft sie an diesem Tag an die eigenartige Begegnung am Morgen dachte, fragte Valerie sich, was John wohl damit hatte bezwecken wollen. Und sie ärgerte sich darüber, dass sie ihrem Entschluss zum Trotz neugierig war, und auch darüber, dass sie sich tatsächlich ein wenig gefreut hatte, ihn zu sehen.
Es muss wichtig sein, wenn er mich deswegen angesprochen hat, fuhr es ihr immer wieder durch den Kopf. Denn er hatte es nicht leichtfertig getan. Als ob er jemals etwas leichtfertig tun würde. Sie wusste einfach nicht, wie sie sich verhalten sollte, und hatte keine Ahnung, wieso das überhaupt eine so große Rolle für sie spielte.
Wenn es wirklich wichtig war, wird er auch nachher auf mich warten, entschied sie schließlich. Und wenn nicht, war es ihm wohl nicht wichtig genug.

Auf dem Nachhauseweg richteten sich ihre Augen auf die Cafétür, sobald diese in Sichtweite war. Soviel dazu, dachte Valerie sarkastisch und fühlte sich enttäuscht und erleichtert zugleich. Er war nicht da. Dennoch rechnete sie bis zum letzten Augenblick damit, dass er erschien. Aber er kam nicht. Sie straffte ihre Schultern und ging an dem Café vorbei.
Die Fußgängerampel sprang auf rot und Valerie musste stehen bleiben.
"Ich habe mich geirrt, Valerie", sagte plötzlich eine vertraute Stimme hinter ihr.
Überrascht fuhr sie herum.
John stand nur zwei Schritte entfernt. Er wirkte noch blasser als zuvor.
"Wobei haben Sie sich geirrt?" fragte sie kühl.
"Ich brauche doch Ihre Hilfe."
"Und wofür?" fragte sie vorsichtig nach. Sie war immerhin kein Psychiater.
"Ich brauche einen Job."
"Einen Job?" Erstaunt sah Valerie ihn an. Dann seufzte sie resigniert. "Und ich brauche wohl einen Kaffee, es war ein langer Tag."
John nickte dankbar, wirkte jedoch nicht im Mindesten erleichtert.
Sie folgte ihm in das Café und ließ sich einen großen Milchkaffee geben. Er sah schweigend zu, wie sie an ihrer Tasse nippte, anscheinend wollte er ihr die Gesprächsführung überlassen.
Valerie nahm noch einen Schluck und überlegte, was sie sagen sollte. Natürlich war sie neugierig, was er von ihr wollte, aber sie war auch immer noch verärgert, ja verletzt, über die Abfuhr, die er ihrem Freundschaftsangebot erteilt hatte.
"Ich bin wirklich überrascht, Sie noch einmal zu sehen", sagte sie schließlich. "Bei unserer letzten Begegnung haben Sie sich diesbezüglich sehr deutlich ausgedrückt und ich habe Ihren Wunsch respektiert."
"Sie haben mir aber dennoch Hilfe angeboten", erinnerte er sie sanft.
Valerie holte verdutzt Luft. Das stimmte sogar.
"Es tut mir leid, dass ich Ihre Gefühle verletzt habe", sagte er eilig, bevor sie etwas sagen konnte. "Das war nicht meine Absicht." Er verstummte und schien nach Worten zu suchen. "Es wäre das Beste für uns beide gewesen", sagte er schließlich.
"Und was hat sich nun geändert?"
Er sah sie an und sie konnte den Kampf hinter seiner Stirn beinahe spüren. "Gar nichts", sagte er schließlich. "Zumindest nichts, was Sie anbelangt."
Sie öffnete irritiert den Mund. Das alles führte doch zu nichts.
"Ich brauche Geld", sagte John schnell. Er schien ihre Aufbruchstimmung gespürt zu haben.
"Geld?" wiederholte Valerie verständnislos.
"Genauer gesagt, einen anderen Job", erklärte er hastig.
"Das sagten Sie schon", erwiderte sie kühl.
"Das Problem ist, ich habe es versucht. Ich habe es wirklich versucht. Aber ich habe kein Empfehlungsschreiben, keine Zeugnisse, nichts, was mir irgendwie helfen könnte, bessere Arbeit zu finden."
"Und wie soll ich Ihnen da helfen?"
"Das weiß ich nicht." Er schien ratlos. "Aber Sie sind der einzige Mensch, den ich hier näher kenne."
Seine Ehrlichkeit machte Valerie sprachlos und rührte sie auf eine ganz besondere Weise. "Was können Sie denn außer angewandter Psychologie?"
"Ich komme gut mit Computern zurecht", sagte er vage.
"Können Sie mit MS Office und SAP umgehen?"
"Nicht direkt. Wir hatten etwas andere Systeme. Aber ich lerne sehr schnell", versicherte er ihr.
Valerie nickte. "Jemandem, der unsere Sprache innerhalb von sechs Monaten gelernt hatte, glaube ich das gern."
"Dann werden Sie mir helfen?" fragte er hoffnungsvoll.
"Ich werde sehen, was ich tun kann", versprach sie ihm.
"Danke."
"Jetzt muss ich aber gehen", sagte Valerie und erhob sich.
Schweigend sah John ihr nach. Er wusste, er würde für diese Begegnung und die weiteren, die nun zwangsläufig folgen würden, bitter bezahlen. Schon jetzt konnte er die Vorboten des Schmerzes fühlen. Und zum ersten Mal fühlte

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