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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
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schwankte zwischen Bestürzung, Anteilnahme und Neugier. Schließlich siegte die Neugier. Sie musste es einfach wissen. "Wie lange ist das jetzt her?"
Sie merkte, wie seine Hände sich zu Fäusten ballten. "Sieben Monate", flüsterte er erstickt.
Valerie schluckte. Der tiefe Schmerz auf seinem Gesicht war unmissverständlich. "Sie müssen sie sehr geliebt haben."
Er atmete tief durch, ohne sie anzusehen. "Liebe trifft es nicht einmal annähernd", sagte er mit brüchiger Stimme. "Sie war meine Seelengefährtin."
Valerie wunderte sich über seine Wortwahl, aber sie verstand, was er ihr damit hatte sagen wollen. "Deshalb sind Sie fortgegangen", sagte sie verständnisvoll.
Er nickte. "Dort konnte ich nicht länger bleiben."
"Das verstehe ich."
"Dann verstehen Sie sicher auch, wieso wir uns nicht mehr sehen sollten."
Valerie starrte ihn überrascht an. "Nein", sagte sie langsam. Sie verstand es wirklich nicht.
Er sah sie prüfend an und schien seine Worte mit Bedacht zu wählen. "Ich weiß nicht genau, was Sie suchen, Valerie. Aber
    ich
kann es Ihnen gewiss nicht bieten", sagte er leise.
Valerie fühlte sich, als hätte er sie gerade völlig zu Unrecht angeklagt. "Sie glauben doch nicht etwa, ich wäre in Sie verliebt!" erwiderte sie aufgebracht.
"Nein", sagte er ruhig. "Ich weiß, dass Sie es nicht sind. Aber auch etwas Anderes kann ich Ihnen nicht geben."
Sie sah ihn an. Sah die Verzweiflung in seinen schwarzen Augen, hörte den Schmerz in seiner Stimme. "Vielleicht können wir uns ja gegenseitig helfen", erwiderte sie leise. "Auch Sie brauchen hin und wieder Gesellschaft, jemanden, mit dem Sie sprechen können." Wieso war sie sich nur so sicher, dass er außer ihr niemanden hatte?
"Sie verstehen das nicht", sagte er ein wenig ratlos.
"Dann erklären Sie es mir."
"Sie lenken mich ab", sagte er verzweifelt. "Mit Ihnen fühle ich mich, als wäre zumindest ein Teil von mir wieder lebendig."
"Und was ist so falsch daran?"
"Es ist falsch, weil meine Frau tot ist, allein und von mir getrennt."
Valerie starrte ihn verwirrt an. "Aber Ihr Leben geht doch weiter! Meinen Sie nicht, sie hätte sich gewünscht, dass Sie sich zumindest hin und wieder über etwas freuen? Dass Sie irgendwann sogar wieder glücklich sind?"
"Ich weiß es nicht", sagte er nachdenklich. "Es war eine andere Welt, in der wir lebten."
Valerie sah ihn eindringlich an. "Wenn sie Sie so geliebt hatte, wie Sie sie lieben, hätte sie sicher nicht gewollt, dass Sie sich quälen", sagte sie mit Nachdruck.
"Vielleicht." Er wirkte nicht überzeugt. "Doch ich kann nicht anders."
"Wie Sie meinen." Valerie zuckte verstimmt mit den Schultern. Dann sah sie auf ihren gefüllten Teller hinab, den ein Kellner gerade vor ihr abgestellt hatte. Ihr war der Appetit vergangen. Sie blickte zu John, der ebenfalls lustlos in sein Essen starrte. "Ich werde den Kellner bitten, uns das Essen einzupacken", sagte sie.
John sah sie bittend an. "Ich wollte Sie nicht beleidigen", sagte er traurig.
"Ich weiß." Valerie seufzte resigniert. Sie rief den Kellner zurück und bat ihn, das Essen einzupacken. Schweigend warteten sie, bis er mit zwei Tüten wiederkam. Valerie beglich die Rechnung und erhob sich. "Sollten Sie Ihre Meinung ändern oder mal Hilfe benötigen, können Sie mich ja ansprechen. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute, John", sagte sie kühl.
"Danke, Valerie, Ihnen auch."
Sie nickte ihm kurz zu und verließ das Restaurant.

Zuhause schleuderte Valerie die Tüte mit dem Essen energisch in den Kühlschrank. Dabei fiel ein Glückskeks heraus und sie hob ihn automatisch auf.
Dann setzte sie Wasser für einen Tee auf und spielte gedankenverloren mit dem Keks, während sie darauf wartete, dass es kochte. Erst, als das Plastikpapier raschelnd zu Boden fiel, bemerkte sie, dass sie die Verpackung aufgerissen hatte. Neugierig brach sie den Keks entzwei und holte einen dünnen Streifen Papier daraus hervor. "Du wirst heute eine interessante Bekanntschaft machen", las sie und musste plötzlich lachen. Wie albern und sinnlos diese ganzen Sprüche doch waren. Als könnte irgendein zufälliges Papierstückchen etwas über ihr Leben aussagen. Sie knüllte das Papier zusammen und warf es über den Tisch hinweg in den Mülleimer. Als das Papier den Eimer tatsächlich traf, riss sie triumphierend beide Arme hoch. Doch dann nahm sie sie schnell wieder herunter. Diese Geste war hohl. Sie freute sich nicht. Es gab so wenig, worüber sie sich in letzter Zeit wirklich gefreut hatte. Ihr ganzes Leben

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