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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
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ihm davon. Er zog sein Hemd aus, um sich zu waschen, und dabei klimperte es leicht in seiner Brusttasche - das Trinkgeld des Tages.
Das Café war gut besucht gewesen, dennoch reichten die Einnahmen bei weitem nicht aus.
John ging zu dem Waschbecken und ließ sich kaltes Wasser ins Gesicht laufen. Er musste sich etwas einfallen lassen. Rasch trocknete er sich mit einem alten Handtuch ab und schlug die zerfledderte Zeitung auf, die er von der Arbeit mitgebracht hatte. Sein Blick fiel auf die Bekanntschaftsanzeigen und er schüttelte verwundert den Kopf. Die Wahrscheinlichkeit, über eine anonyme Anzeige seinen Seelengefährten zu finden, erschien ihm lächerlich gering. Schnell blätterte er weiter, bis er die Stellenanzeigen fand. Mit etwas Glück könnte er einen legalen und besser bezahlten Job finden.
Während er die interessanten Anzeigen markierte, knurrte sein Magen und erinnerte ihn daran, dass er an dem Tag noch gar nichts gegessen hatte. Er hatte keinen Appetit, aber er wusste, dass er etwas essen sollte, um bei Kräften zu bleiben.
John erhob sich, um die Tüte mit dem mitgebrachten Essen auszupacken. Dabei entdeckte er einen Glückskeks und sah ihn sich neugierig an. Interessiert riss er die Verpackung auf und biss vorsichtig in das Gebäck. Es war hart und süß und schmeckte nicht besonders gut. Angewidert wollte John es schon zur Seite legen, als ihm ein Stück weißen Papiers darin auffiel. Zögerlich zog er es heraus und entfaltete es. "Auf Regen folgt stets der Sonnenschein", las er irritiert die darauf stehenden Worte. Er schüttelte den Kopf und drehte das Papierchen in seinen Fingern hin und her. Trotzdem erschloss sich ihm nicht der Sinn davon, banale Weisheiten in ungenießbaren Keksen zu verstecken. Ohne weiter darüber nachzudenken, warf er den Keks samt Spruch in den Müll und machte sich daran, das mitgebrachte Essen aufzuwärmen.
Kurze Zeit später saß er wieder am Tisch, aß und studierte weiter die Stellenangebote. Das Essen war besser, als er erwartet hatte, und der Gedanke, dass sein Leben endlich in die richtige Richtung verlief, erfüllte ihn fast mit Optimismus. Er hatte die notwendigen Papiere, jetzt musste er sich nur noch einen besseren Job besorgen. Dann konnte er endlich eine richtige Zukunft für Nalla und sich aufbauen. John griff in seine Hosentasche und zog ein kleines schwarzes Gerät, das stark an eine Uhr erinnerte, heraus. Er sah es sich jeden Abend an, obwohl er genau wusste, was das Gerät ihm zeigen würde. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Es hatte länger gedauert, als er gedacht hatte, sich eine Existenz aufzubauen. Besorgt schaute John auf das kleine Gerät. Noch drei oder vier Monate, länger hatte er nicht. Aber zumindest hatten
    sie
ihn noch nicht gefunden und John nahm es als ein gutes Zeichen dafür, dass das auch so bleiben würde. Er steckte das Gerät wieder in die Tasche und seufzte. Es wäre so schön, endlich wieder in Sicherheit zu sein.

In den nächsten vier Tagen ging Valerie, ohne innezuhalten, an dem Café vorbei. Obwohl sie es schade fand und Johns rätselhafte, schweigsame Gesellschaft irgendwie vermisste, war sie stolz genug, diesen Gefühlen nicht nachzugeben.
Als sie am Freitag jedoch wie gewohnt zur Arbeit ging und beim Überqueren der Straße einen flüchtigen Blick zum
    "Pablo"
warf, stockte sie plötzlich.
John stand da, stumm und regungslos vor dem Café, die Arme vor seiner Brust verschränkt, und sah sie an. Überrascht starrte sie zurück und fragte sich, ob sie ihn jetzt wohl grüßen oder einfach weitergehen sollte. Sie entschloss sich zum Weitergehen.
Dummerweise stand er so, dass sie direkt auf ihn zuging. Sie wandte sich ein wenig zur Seite, als er plötzlich ihren Namen rief. "Valerie!"
Valerie blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihn fragend an.
"Haben Sie ein paar Minuten?" fragte er sie mit seiner melodischen traurigen Stimme.
"Ich muss zur Arbeit", erwiderte sie brüsk.
"Ich weiß. Dann vielleicht nachher?"
Sie sah deutlich, wie schwer es ihm fiel. "Vielleicht", sagte sie noch immer abweisend.
Er sah ihr einen Augenblick lang ins Gesicht, dann nickte er kurz, wandte sich ab und verschwand hinter der Tür des Cafés.
Verdutzt starrte Valerie ihm nach. Rechnete er jetzt damit, dass sie kam? Meinte er etwa, es reichte, wenn er sie rief, und sie würde angelaufen kommen? Oder war es ihm gar egal, ob sie wirklich kam? Verärgert und verwirrt setzte sie sich wieder in Bewegung. Da konnte er lange warten. Sie würde nicht

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