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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
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hinweggeholfen und war fast ganz niedergebrannt. Er hoffte, dass der Rest noch reichen würde, er musste endlich mit sich ins Reine kommen.
John stellte die Kerze auf einen niedrigen Hocker, machte die Vorhänge zu und zog sich bis auf seine Boxershorts aus. Dann kniete er sich auf den Boden vor die Kerze hin, entzündete sie und sprach die rituellen Worte des Gebets. Der aromatische Rauch stieg in seine Nase und er spürte, wie sich die verkrampften Muskeln in seiner Stirn und seinem Kiefer allmählich entspannten.
"Es ist nicht meine Schuld", murmelte er leise. "Das Leben ist ein Geschenk. Es ist nicht meine Schuld." Er wiederholte diese Worte immer wieder, meditativ und voller Überzeugung, in der Hoffnung, dass die Charukka-Flamme ihm dabei half, auch in seinem Innersten endlich daran zu glauben.
Und dann, allmählich, stieg ein weiterer Gedanke aus seinem Unterbewusstsein empor. "Das Leben ist ein Geschenk, es darf nicht verachtet werden.
    Mein
Leben ist ein Geschenk."
Er spürte, wie ihn die Erkenntnis durchströmte, in dem Augenblick, als seine Meditationskerze flackernd ausging.
Erschrocken öffnete John die Augen und versuchte krampfhaft an dem Gefühl des Friedens, das ihn eben noch durchströmt hatte, festzuhalten.
"Valerie hatte Recht", flüsterte er überrascht. Sein Leben ging weiter und es war nichts Falsches daran. Er spürte, wie seine Tradition, sein angeborenes Rechtsbewusstsein, seine Schuldgefühle sich bei diesen Gedanken regten, und seufzte resigniert. Es würde nicht einfach für ihn werden, danach zu leben. Aber sie hatte dennoch Recht.

Kapitel 4

    Am nächsten Morgen wartete John bereits vor dem Café mit einem großen, dampfenden Plastikbecher in der Hand, als Valerie eintraf. Er reichte ihr wie selbstverständlich den Kaffee und setzte sich neben ihr in Bewegung. "Guten Morgen, John. Und danke", sagte sie überrascht und nippte an ihrem Kaffee.
"Guten Morgen, Valerie", erwiderte er ihren Gruß.
Seine Stimme klang irgendwie anders, weniger ... leblos. Sie blickte ihn neugierig an. Irgendetwas stimmte nicht, aber sie konnte nicht genau sagen, was es war. Er wirkte sehr blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen, aber das war ja nichts Neues. War es vielleicht der entschlossene Zug um seinen zusammengepressten Kiefer, den sie vorher nie bemerkt hatte? Sie war sich nicht sicher. Und dann wandte er sein Gesicht und sah sie an.
Valerie schnappte nach Luft. Es waren seine Augen. Sie waren nicht mehr so unheimlich schwarz, sondern von einem sehr dunklen Braun. Sie wirkten fast ... normal.
"Ist etwas?" fragte John mit einem nervösen Unterton in seiner Stimme.
Rasch schüttelte Valerie den Kopf und wandte ihren Blick ab. "Nein", stammelte sie. "Alles in Ordnung." Was sollte sie auch sagen? Vielleicht war es ja nur ein Lichtreflex gewesen. "Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen ein wenig von dem erzählen, was Sie erwartet", schlug sie ihm zögernd vor.
"Gern", sagte er.
Sie erzählte ihm alles, was ihr zu der Manuskriptverwaltung einfiel, über die Kollegen, über die Arbeit, über die Chefin. Und er hörte ihr ruhig und aufmerksam zu, ohne zu unterbrechen oder Fragen zu stellen. Und währenddessen fragte er sich wieder, wieso sie ihm half, wo er doch nichts getan hatte, um diese Hilfe zu verdienen, eher im Gegenteil. Sie war wirklich eine sehr seltene Person, diese Valerie.
Schließlich hatten sie das Verlagsgebäude erreicht und Valerie fiel auch nichts mehr ein, was sie ihm noch hätte erzählen können.
Schweigend begleitete sie ihn zum Büro der Personalmanagerin und wandte sich zu ihm um. "Viel Glück", sagte sie. "Lassen Sie mich wissen, wie es gelaufen ist."
"Das mach ich. Und danke."
Als sie sich abwandte, hätte Valerie schwören können, die Spur eines echten Lächelns auf seinen Lippen gesehen zu haben.

In den nächsten Stunden hatte Valerie kaum Muße, an John und sein Vorstellungsgespräch zu denken. Sie war so in ein Manuskript vertieft, dass sie erschrocken zusammenfuhr, als jemand leicht an ihre halb offene Bürotür klopfte.
"John!" entfuhr es ihr überrascht, als sie ihn erkannte.
"Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich wollte nur fragen, ob Sie Zeit für eine kurze Pause haben."
"Ich? Sicher." Sie schaute auf ihre Uhr. "Es ist ja schon nach eins!" Sie hatte die Zeit gar nicht bemerkt. "Haben Sie den Job bekommen?" fragte sie etwas verspätet nach.
Er nickte. "Ich kann in einer halben Stunde anfangen."
"Sollen wir kurz rausgehen?" schlug sie unsicher vor. "Auf der

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