Seelenband
er, hervorgerufen durch etwas, das Valerie zu ihm gesagt hatte, den ketzerischen Gedanken aufsteigen, ob Inara ihm das wirklich gewünscht hätte. Er selbst würde dieses Schicksal keinem Feind, geschweige denn seiner Seelengefährtin wünschen. Energisch drängte John den Gedanken beiseite. Das spielte keine Rolle mehr. Er würde es überstehen, für Nalla. Nur das war von Bedeutung. Valerie würde ihm helfen und dann würde er Nalla endlich in ein richtiges Zuhause holen.
"Ich denke, ich habe gute Neuigkeiten", sagte Valerie einige Tage später, als sie sich auf einen der Barhocker im Café setzte.
Wortlos stellte John ein großes Glas vor ihr ab.
"Woher wussten Sie, dass ich einen Eisshake will?" fragte sie überrascht.
Er zuckte mit den Schultern. "Es ist heiß und Sie sehen aus, als könnten Sie eine Erfrischung gebrauchen."
"Danke." Valerie nahm einen Schluck.
"Sie haben Neuigkeiten?" erinnerte er sie.
"Oh ja. Ich habe heute mit der Personalmanagerin in dem Verlag, in dem ich arbeite, gesprochen. Anscheinend haben wir eine offene Stelle in der Manuskriptverwaltung. Es ist nicht besonders spannend, aber ..." Sie sah ihn unsicher an.
"Was muss ich tun?" unterbrach John sie nüchtern.
"Einkommende Manuskripte in einem Computersystem erfassen, den Lektoren zuordnen und Absageschreiben verschicken."
Er nickte nachdenklich. "Das klingt nicht allzu kompliziert."
"Wenn Sie möchten, können Sie mich morgen zur Arbeit begleiten. Und wenn es klappt, könnten Sie danach schon bald anfangen."
"Einfach so?"
Sie nickte plötzlich verlegen. "Ich habe erzählt, Sie wären ein guter Freund."
"Danke, Valerie."
"Zum Glück hat sie nicht nach Ihrem Nachnamen gefragt", fügte Valerie hinzu und wunderte sich wieder einmal über sich selbst. Sie hatte für ihn gebürgt und kannte noch nicht einmal seinen vollen Namen. Oder sein Alter. Oder seine Adresse.
"Ich heiße Thebeliam", unterbrach er ihre Gedanken. "Und ich danke Ihnen."
Einen Augenblick lang hatte Valerie das unbestimmte Gefühl, als wollte er seine Hand auf die ihre legen. Aber natürlich tat er das nicht.
"Danken Sie mir nicht zu früh", sagte sie schnell. "Noch haben Sie den Job ja nicht."
"Aber dankbar bin ich jetzt schon."
"Wir sehen uns dann morgen früh?" fragte sie, weil sie nicht wusste, was sie darauf erwidern sollte. "Um acht?"
John nickte. "Ich werde hier sein."
Er sah ihr nach, wie sie das Café verließ. Und nicht zum ersten Mal fragte er sich, wieso sie ihm half und wohin das bloß führen sollte. Sie war einfach zu nett zu ihm.
John schaffte es gerade noch, in den kleinen Waschraum zu rennen und die Tür hinter sich zuzuschlagen, als der Schmerz in einer übelkeitserregenden Welle über ihn hereinbrach. Er kauerte sich auf dem Fußboden zusammen und umfasste seinen Kopf, der zu zerspringen drohte. Jede Begegnung mit Valerie machte es nur noch schlimmer. Es war zum Schreien. Sie gab ihm Lebensmut und machte sein Leben gleichzeitig zur unerträglichen Qual.
Stöhnend wiegte John sich hin und her und versuchte, seinen Geist mit Bildern von Inara auszufüllen, um die immer stärker werdenden Schuldgefühle zu verdrängen. Sein Herz quoll über vor Sehnsucht nach seiner Gefährtin, doch die Schuldgefühle, die er wegen Valerie empfand, verschwanden nicht, so sehr er sich auch einzureden versuchte, dass sie völlig ohne Bedeutung für sein Leben war. Er war auf sie angewiesen und er mochte ihre Gesellschaft. Und an beiden Tatsachen konnte er nichts ändern. Und wenn er nicht völlig den Verstand verlieren wollte, musste er bald einen Weg finden, mit dem Schmerz in ihm umzugehen.
Als er einige Zeit später aus dem Waschraum taumelte, mustere Cassandra ihn besorgt. "Alles in Ordnung?"
John schluckte und schüttelte den Kopf. Zu mehr war er nicht in der Lage.
"Du siehst furchtbar aus", sagte sie erschüttert.
Er nickte. Das musste wohl stimmen, wenn sogar Cassandra besorgt war. Normalerweise hatte sie kaum einen abweisenden Blick für ihn übrig. "Ich gehe besser nach Hause", krächzte er. Er räusperte sich, aber es half nicht viel. "Bis morgen dann."
"Ja, mach's gut", erwiderte die junge Frau unsicher.
Die Luft draußen belebte John ein wenig, auch wenn es noch immer viel zu warm war.
In seiner kleinen Wohnung angekommen, holte er die Charukka-Kerze aus dem Schrank - eins der wenigen Dinge, die er bei der hastigen Flucht aus seiner Heimat mitgenommen hatte. Weil er gewusst hatte, dass er sie brauchen würde. Sie hatte ihm über die ersten furchtbaren Tage
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