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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
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war hohl. Sie war gefangen in einer Tretmühle aus Arbeit und Alltag, in der jeder Tag dem anderen glich. Und nichts vermochte diesen Kreislauf zu durchbrechen. Sie goss sich einen Tee ein und knabberte nachdenklich an den harten Stückchen des Glückskekses. John hatte völlig recht gehabt, erkannte sie plötzlich. Was auch immer sie brauchte, konnte er ihr nicht geben. Sie gab ihren Versuch, den Keks zu essen, auf und warf ihn dem Spruch hinterher in den Müll. Am liebsten hätte sie die Erinnerungen der letzten paar Wochen ebenfalls dorthin geworfen. Sie hatte so viele Gedanken an einen Mann verschwendet, dem vermutlich nicht zu helfen war, der sich in Selbstmitleid suhlte und da gar nicht wieder heraus wollte.
Und nun denke ich schon wieder an ihn, schoss es ihr durch den Kopf. Jetzt ist Schluss damit, rief sie sich selbst zur Ordnung. Er hatte ihr klar gesagt, dass er nicht einmal ihre Gesellschaft wollte. Dass er nichts wollte, was ihn von seiner toten Frau ablenkte. Obwohl ihm ein bisschen Ablenkung durchaus gut tat. In den wenigen Momenten, in denen er sich tatsächlich auf das Hier und Jetzt, auf ein Gespräch, auf Valerie eingelassen hatte, hatte er soviel lebendiger gewirkt.
Ich tue es ja schon wieder! dachte sie. Er wollte ihre Anteilnahme nicht und sie würde sie ihm gewiss nicht aufzwingen. Es wurde Zeit, dass sie sich endlich einen richtigen Mann suchte, mit dem sie sowohl reden als auch ihr Leben teilen konnte.
Ihr Blick fiel auf die Zeitung. Und obwohl sie selbst kaum fassen konnte, was sie da tat, schlug sie die Seite mit den Bekanntschaftsanzeigen auf.

Nachdem Valerie das Restaurant verlassen hatte, erhob John sich ebenfalls und ging hinaus. Er war erleichtert und betrübt zugleich. Erleichtert, weil er Valerie die Situation erklärt hatte und sie sie zumindest verstanden hatte. Erleichtert auch, weil er sich heute in Valeries Gegenwart nicht wirklich wohl gefühlt hatte und folglich die Schuldgefühle ihn nicht mit unerträglicher Intensität heimsuchen würden. Betrübt, weil er Valeries Enttäuschung gespürt hatte und es ihm leid für sie tat.
Die junge Frau verwirrte ihn. Sie konnte keinen Verlust erlitten haben, der dem seinen vergleichbar gewesen wäre. Kein Mensch konnte das. Sie war auch nicht auf brutale Weise aus ihrer Welt herausgerissen worden. Und dennoch war sie nicht glücklich. Sie wirkte einsam und auf eine unerklärliche Weise verloren.
Ein Mensch, der meine Gesellschaft sucht, muss ja völlig verzweifelt sein, dachte er bitter, als er das
    "Pablo"
erreichte. Sie tat ihm wirklich leid. Aber er glaubte fest an das, was er ihr gesagt hatte. Ganz egal, was sie eigentlich suchte, sie würde es bei ihm nicht finden können. Er hatte einfach nichts mehr zu geben.
John betrat das Café und winkte Cassandra hinter dem Tresen kurz grüßend zu. Die junge blonde Frau winkte halbherzig zurück. Sie legte ihm gegenüber eine gesunde Zurückhaltung an den Tag, wie übrigens alle anderen Menschen, denen er begegnete - außer Valerie.
Vermutlich wird sich das jetzt auch ändern, dachte John, als er sich die lange weiße Schürze umband. Sie hatte sich zurückgewiesen und enttäuscht gefühlt und würde seine Gesellschaft nun bestimmt nicht wieder suchen. Er hatte das Richtige getan, hatte sie und sich selbst vor weiterem Schmerz geschützt. Und doch wünschte sich ein winziger Teil von ihm, der Teil, der sich so hartnäckig an das Leben klammerte, dass sie ihn nicht völlig aufgeben würde.
In seine Gedanken vertieft ging John hinter die Theke, nur um Cassandras verärgerten Blick aufzufangen. Sie warf ihm einen Bestellblock und einen Stift zu. "Tisch 9 und 10 warten", zischte sie.
John sah herüber und erst da fiel ihm auf, wie voll das Café war. An Tisch 9 und 10 reckten die Kunden ungeduldig die Köpfe und Cassandra zwängte sich hektisch mit einem vollbeladenen Tablett in den Händen an ihm vorbei. Sie sagte nichts mehr, aber ihr beredter Blick sprach Bände. John setzte sich augenblicklich in Bewegung.
Den ganzen Nachmittag lang kam er kaum dazu, einmal Luft zu holen. Ob es an der Arbeit lag oder an der Aussprache mit Valerie, aber zumindest blieb er von dem Schmerz verschont. Auch abends, als er endlich nach Hause ging, war er einfach nur erschöpft. Zu erschöpft, um noch etwas Anderes empfinden zu können. Die Haustür klemmte schon wieder und John musste sie mit der Schulter aufstoßen. Dabei dachte er an Nalla. Er konnte sie unmöglich mit in dieses Loch bringen und die Zeit rannte

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