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Seelenband

Seelenband

Titel: Seelenband Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Zeißler
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Herzgegend. "Ich werde sie immer in meinem Herzen tragen", erklärte er.
"Wollen Sie darüber sprechen?" schlug Valerie zögerlich vor. "Vielleicht hilft Ihnen das ja."
Er horchte wehmütig in sich hinein. "Wo soll ich bloß anfangen?"
"Der wievielte Hochzeitstag wäre das?" fragte Valerie sanft.
"Der zwanzigste."
Valerie verschluckte sich fast an ihrem Tee. So alt sah er gar nicht aus, Mitte dreißig, auf keinen Fall älter. "Der zwanzigste?" wiederholte sie ungläubig.
"Ja." John nickte versunken. Er schien ihre Reaktion gar nicht wahrzunehmen. "Wir hatten das Glück, uns schon sehr früh zu begegnen."
"Erzählen Sie mir von ihr", bat Valerie leise.
John blieb so lange still, dass sie schon bezweifelte, ob er sie überhaupt gehört hatte. Sie beobachtete ihn, während er schwieg. Lag es daran, dass es draußen allmählich dunkler wurde oder hatten seine Augen tatsächlich wieder die unheimliche schwarze Tönung angenommen, die sie am Anfang so beunruhigt hatte? Es war ihr, als würde er immer tiefer in sich hinein sinken. Die Farbe, die er in den letzten Tagen in sein Gesicht bekommen hatte, schien wieder zu weichen. In dem dämmrigen Halbschatten wirkte er erneut so unheimlich, dass er ihr Angst machte.
Plötzlich spürte sie in sich das Bedürfnis aufsteigen, ihn zu berühren, um sich davon zu überzeugen, dass er ein echter Mensch aus Fleisch und Blut war. Sie beugte sich zu ihm herunter und fasste ihn zögernd am Arm. "Sie müssen nicht darüber sprechen, wenn Sie nicht möchten, John."
Er schreckte hoch, als hätte sie ihn aufgeweckt, dabei waren seine Augen doch die ganze Zeit über geöffnet gewesen. "Valerie", sagte er und es lag eine eigentümliche Erleichterung in seiner Stimme, als hätte sie ihn von einem schrecklichen Ort zurück geholt.
"Möchten Sie mir von Ihrer Frau erzählen?" fragte sie noch einmal nach.
"Inara", sagte er. "Ihr Name war Inara."
Valerie wartete gespannt, ob er noch mehr sagen würde, und hatte gleichzeitig Angst, ihn danach zu fragen.
Schließlich sprach er weiter. "Wir haben uns schon als Kinder gekannt. Ein Leben ohne sie war für mich schon immer völlig unvorstellbar gewesen. Sie gehörte dazu, wie die Luft, die ich atmete." Er verstummte. "Und ich nahm es als selbstverständlich an, dass wir immer zusammen sein würden."
"Wie war sie?" flüsterte Valerie atemlos.
"Wunderschön", erwiderte John. "Sie hatte lange dunkle lockige Haare und große braune Augen, die mich stets mit unendlicher Liebe und Wärme ansahen. Sie war so sanft, ruhig und verständnisvoll. Sie hatte gern gelesen und ich konnte stundenlang ihrer samtenen Stimme zuhören, wenn sie mir etwas vorlas oder sang. Sie hatte so ein Saiteninstrument, einer Laute ähnlich, und sie konnte ihr so liebliche Töne entlocken, dass die Welt außer uns beiden jede Bedeutung verlor. Sie war Lehrerin und sie liebte es, ihr Wissen weiterzugeben und anderen zu helfen, zu dem zu werden, was sie werden sollten. Sie war so sanft, liebevoll und hilfsbereit und als sie so jäh aus meinem Leben verschwand, glaubte auch ich, sterben zu müssen." Johns Stimme brach.
Mitfühlend strich Valerie ihm über den Rücken. "Sie müssen Sie sehr geliebt haben", flüsterte sie.
"Ja, das habe ich", murmelte er und wischte sich die Tränen von den Augen. "Sie bedeutete mir mehr als mein eigenes Leben."
"Wie ist sie gestorben?" fragte Valerie leise.
"Es war ein Unfall", erwiderte er tonlos. "Ein technisches Versagen in ihrem Fahrzeug. Sie hatte keine Chance." Die Worte, die anfangs so zögerlich kamen, sprudelten nun aus ihm heraus. "Ich wurde ins Krankenhaus gerufen, direkt in die Notaufnahme. Und da lag sie dann, kaum noch bei Bewusstsein. Sie hatte furchtbare Schmerzen und ich wusste, dass sie sterben würde, noch bevor die Ärzte es mir gesagt hatten. Ich konnte spüren, wie das Leben ihren Körper verließ. Und selbst in diesem Augenblick dachte sie nur an mich. Sie quälte sich bei dem Gedanken, wie es mir nun ergehen würde, und gab sich die Schuld daran." Er schluckte. "Bis zum Schluss hielt sie ihre Augen auf mich gerichtet, als wäre mein Blick das Einzige, das sie noch einige Sekunden länger in dieser Welt hielt. Und die ganze Zeit über spürte ich, wie sie mir entglitt, und hatte das Gefühl, wahnsinnig zu werden, in dem Moment, da sie ihre Augen für immer schließen würde." Er schluckte hart. "Sie musste es gespürt haben, denn sie schloss sie nie." John brach ab, unfähig, weiter zu sprechen, und vergrub sein Gesicht in den

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