Seelenbrand (German Edition)
Unterhaltung wieder zum Wesentlichen zurückbringen, denn der Wahrheitsgehalt dieser Geschichten, die offensichtlich nur auf dem Neid und der Mißgunst der Leute beruhten, war nur schwer auszuloten. »Hat er Ihnen gegenüber nie angedeutet ... was er gefunden hat, oder warum er ... Gott umgebracht haben will?«
Der Totengräber setzte sich wieder und überlegte. »Nein!« sagte er schließlich traurig und schüttelte seinen Kopf. »Nach all den Jahren ... er hat nie mit mir darüber gesprochen.«
Sie schwiegen.
»Hm? Aber warten Sie mal!« Jacques fuhr hoch. »Kurz vor seinem Tod hat er mir etwas anvertraut.« Verzweifelt strich er sich durch seine Haare. »Wenn ich nur wüßte, was es war!«
Pierre wühlte derweil in seiner Hosentasche und zog den Anhänger mit den zwei verschlungenen Davidsternen heraus. »Meinen Sie etwa das?«
Der Totengräber war außer sich vor Aufregung. »Ja, ja! Das ist es, dieser komische Anhänger! Wo haben Sie ihn her?«
»Aus Ihrem Haus. Er lag in einem Loch in der Wand, hinter dem Kreuz.«
Jacques schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. » Da hatte ich ihn also versteckt!« Verlegen rieb er sich am Ohr. »Also, nachdem mir der alte Saunière all diese Sachen mit Gott und der ewigen Finsternis erzählt hatte, brauchte ich erst einmal etwas zur Beruhigung.«
»Medizin?«
Er nickte. »Und zwar reichlich davon! Von da an habe ich nicht mehr gearbeitet und das Haus nicht mehr verlassen. Und eines Tages ...«, er zitterte, »stand der Teufel vor mir. In meinem eigenen Haus! Und bald darauf kam er bei Tag und Nacht. Er wollte meine Seele ... und dann ...«, seine Stimme überschlug sich, »habe ich es nicht mehr ausgehalten ... und ihn zusammen mit meinem Haus verbrannt!« Er schluchzte. »Danach wollte ich mich selbst begraben.« Mit geröteten Augen sah er Pierre an. »Oder sollte ich etwa warten, bis das grausame Ende kam, das mir der Alte vorausgesagt hatte? Daß unsere Seelen sowieso alle in die Finsternis fahren würden. Sehen Sie sich an ...«, zitternd deutete er auf die Grabinschrift des alten Abbé, »... was ich ihm in seine Grabplatte meißeln mußte.«
Pierre atmete tief durch. »Aus der Apokalypse des Johannes.«
In seltsamer Verbundenheit lasen sie gemeinsam und mit monotoner Stimme, so wie bei einer Beschwörung: »... er wurde ermächtigt, der Erde den Frieden zu nehmen, damit die Menschen sich gegenseitig abschlachteten. Und es wurde ihm ein großes Schwert gegeben.«
Lange Stille.
»Können Sie mir erklären, was er damit gemeint hat?« flüsterte Jacques schließlich.
Pierre schüttelte den Kopf, aber insgeheim war er sich nun sicher, daß diese seltsame Sache mit den zwei Jesuskindern der Schlüssel zu dem Rätsel war. Er hatte so eine Ahnung, der er nachgehen wollte, solange Marie noch im Haus beschäftigt war.
»Was machen Sie jetzt, mein Freund?« Er legte Jacques seine Hand auf den Arm.
»Ich weiß nicht. Vielleicht werde ich mein Haus wieder aufbauen.«
»Eine gute Idee«, nickte Pierre. »Vertrauen Sie mir, unsere Kirche wird Sie beschützen! Und wenn es ein Problem gibt ... dann wissen Sie ja, wo Sie mich finden.«
Sie erhoben sich und reichten sich die Hände.
»Ich werde versuchen«, der Totengräber lächelte gequält, »solange bei Bruder Severin eine Bleibe zu finden. Das ist er mir schuldig, der alten Zeiten wegen.« Eilig verließ er den Friedhof in Richtung Straße.
Tja, da geht er ... und mein Phantom läuft immer noch frei herum. Dieser arme Hund war’s bestimmt nicht. Irgend jemand muß ihm ganz übel mitgespielt haben – vielleicht mit giftigen Kräutern? Nur wer? Bruder Severin? Er kennt sich schließlich mit solchen Sachen aus. Aber warum sollte er das tun? Der alte Abbé, der Totengräber und der Kräuterbruder waren doch, nach allem, was er jetzt wußte, alte Freunde.
Ratlos betrachtete er den Anhänger mit den zwei verschlungenen Davidsternen.
Wir werden ja sehen, ob ich recht habe.
Aber wenn er recht hätte, dann wäre es eine Katastrophe! Ein Inferno für ihn ... und für alle Eingeweihten! Natürlich könnte er diesen Anhänger einfach wegwerfen, den Luftschacht zu diesem unterirdischen, okkulten Raum verschließen und versuchen alles zu vergessen. Aber dazu war er jetzt nicht mehr fähig. Der Funke des Zweifels, den der alte Abbé in ihm entzündet hatte, war bereits zu einer lodernden Flamme geworden. Egal, wie sehr ihm sein Verstand auch dazu riet, die Sache lieber auf sich beruhen zu lassen und nicht weiter zu
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