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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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nochmals auf das hölzerne Täfelchen ... Dierick Bouts. Er hatte noch nie von diesem Künstler gehört, der aber auch schon seit vierhundert Jahren tot war. Im Ozean seiner Gefühle erhoben sich riesige Wellen, die sich allmählich zu unvorstellbar zerstörerischen Brechern vereinigten. Aber dieser Mann da ... wieder tippte er aufgeregt auf das Gesicht ... der an der rechten Tischecke sitzt ... ist doch absolut identisch mit Jesus, der gerade das Brot bricht! Sein Herz raste und glühende Wellen malträtierten seinen gesamten Körper. Aber das Original dieses Bildes wurde doch schon vor fast fünfhundert Jahren gemalt! Wie kann denn der alte Abbé mit seiner wahnsinnigen Idee von den Jesuszwillingen Einfluß auf einen Maler genommen haben ... der schon seit mehr als vierhundert Jahren tot ist?
    Hastig griff er sich seine beiden Laternen und eilte quer durch den schwarzen Raum in eine entlegene Ecke. Die Gesichter an den Wänden leuchteten im Schein der Lampen kurz auf, um dann sofort wieder von ewiger Finsternis eingehüllt zu werden. Hier! Ich nehme dieses! Der Zufall hatte ihn also nun an ein Gemälde geführt, vor dem er hektisch seine Laternen abstellte. Aha! Wieder eine Darstellung des Abendmahls. Dieses Mal von ... er legte seinen Finger auf das Täfelchen, das daneben hing ... Luca Signorelli aus dem Jahre 1512. Kenn’ ich nicht! Aber hier – es fiel ihm sofort auf – ist wieder ... das Zeichen der Zwillinge ... eins über Jesus ... und das andere dort über diesem Apostel. Schnaufend sah er noch mal hin und hob seine Laterne. Ja! japste er. Sie haben die gleichen Gesichter. Der Maler wollte, daß sie die gleichen Gesichter haben. Das kann doch kein Zufall mehr sein! Keiner der anderen Apostel war Jesus so aus dem Gesicht geschnitten ... wie dieser eine. Aber auch dieses Gemälde – oder sein Original – war bereits vierhundert Jahre alt und hing ... im Museo Diocesano in Cortona. Dieser Luca Signorelli k a n n daher doch gar nicht mit dem alten Saunière unter einer Decke stecken!
    Er wischte sich mit seinem Ärmel den Schweiß von der Stirn, griff sich hastig beide Laternen und rannte einige Schritte in das Dunkel des Raums, bevor er orientierungslos stehenblieb und nach einer Ecke Ausschau hielt, in der er noch nicht gewesen war.
    Schnaufend hastete er in den dunkelsten Winkel, den er ausmachen konnte und wählte, ohne hinzusehen, ein kleineres Bildnis aus, das unscheinbar zwischen zwei riesigen Werken schlummerte. Da! Wieder das Abendmahl und hier ... er suchte mit dem Finger nach dem Zeichen der Zwillinge ... ist Jesus und ... dort sein Zwillingsbruder! Eindeutig! Und das Bildnis stammt aus dem Jahre – seine Laterne erhellte die Schrift – aus dem Jahre 1508, von Jörg Ratgeb ... den Namen hab’ ich zwar noch nie gehört ... aber ist es nicht unwahrscheinlich, daß ein Mensch, der schon über vierhundert Jahre tot ist ... mit dem alten Saunière im Bunde ist?
    Der tobende Ozean seiner Ängste und Befürchtungen hatte alles unter sich begraben. In diesem Augenblick hatten die tosenden Fluten alles weggewaschen ... sein Leben, seine Gedanken und ... seinen Glauben. Wie in Trance nahm er seine Laternen und bewegte sich langsam auf den Ausgang zu.
    Ich hab’ genug gesehen dachte er, als der Schein einer Lampe wie zufällig das hölzerne Täfelchen erhellte, das neben dem Werk eines gewissen Pietro Peruginos hing, welches Christus bei der Schlüsselübergabe an Petrus zeigte. Auch hier ... Das Zeichen über dem Kopf von Jesus und ... dort ... ja sie gleichen sich auch hier ... wie ein Ei dem anderen. War es Vorsehung oder ein Zufall, daß ausgerechnet dieses Bildnis als riesiges Fresko, mit einer Höhe von mehr als drei und einer Länge von mehr als fünf Metern, ausgerechnet im Vatikan – in der Sixtinischen Kapelle – unübersehbar über dem Kopf des Papstes prangte?
    Unentschlossen verharrte er noch einen Augenblick und dachte nach. Vieles, was er hier gesehen hatte, waren – soweit er es beurteilen konnte – Kopien, die jemand für den Alten angefertigt hatte. Die Originale – so wie dieses Fresco – waren überall in der Welt verstreut. War es denn möglich, daß der alte Saunière so verrückt gewesen war – er hatte ihn ja nie persönlich getroffen –, daß er die Maler, die die Kopien angefertigt hatten, dafür bezahlte, daß sie Jesus einen Zwillingsbruder zur Seite stellten? Hatteer sie also direkt angewiesen, in diesem Punkt vom Original abzuweichen, um seinen krankhaften

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