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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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Anblick vergaß man nicht. Der berüchtigste Pater, von dem er je gehört hatte, und den er – gottlob – bislang nur aus Schauergeschichten kannte, stand nun in seiner weißen Kutte mit dem schwarzen Überwurf kerzengerade und leibhaftig vor ihm. Er mochte an die siebzig Jahre alt sein, und in seinem sehnigen, ausgezehrten Gesicht steckten – wie zwei silberne Münzen – die stahlblauen Augen. Sein schlanker Schädel war völlig kahl.
    Bewegungslos stand er da und musterte Pierre so lange, bis der ihm schließlich bis auf etwa zwei Meter entgegentrat und ihm furchtlos in die Augen blickte. Dieser Zacharias war so groß wie er, aber viel sehniger und knorriger. Sein Hals und seine Hände waren faltig und dürr, wie die Äste eines ausgelaugten Baumes.
    Noch gestern wäre er unter dem eisigen Blick dieser kalten Augen – die höchste Autorität ausstrahlten – zusammengebrochen. Gestern ... als er noch ein willenloser Vasall seines Bischofs und der Kirche war, ein Untertan, den man nach Herzenslustprügeln und knechten konnte ... ja ... da wäre er in diesem Augenblick wohl in die Knie gesackt und hätte sich demütig für sein unangemessenes Erscheinungsbild entschuldigt. Aber heute? Dieser Gladius stand von nun an, genau wie sein fetter Bischof, auf der anderen Seite ... aber er hatte noch nicht die Kraft, sich schon jetzt – vor aller Augen – gegen sie aufzulehnen ...
    Der knorrige Alte wartete anscheinend immer noch auf eine Erklärung.
    »Der Herr führt uns manchmal auf verschlungene Wege, um das Böse zu bekämpfen«, antwortete Pierre schließlich und blickte dabei starr und furchtlos in die eisigen Augen seines Gegenübers, der immer noch ohne die kleinste Regung im Gesicht dastand.
    »Ich bin Pater Zacharias, und Seine Exzellenz der Bischof hat mich geschickt«, sagte der Alte schließlich, ohne dabei eine Miene zu verziehen, mit seiner schneidenden Stimme. »Ich nehme an, daß Sie die Nachricht erhalten haben, die mein Erscheinen ankündigt?«
    Pierre fiel aus allen Wolken. Hätte er diese verdammte Ankündigung bekommen, dann wäre der Augenblick ihres ersten Zusammentreffens doch wohl garantiert anders verlaufen. Aber vielleicht war es ja gut so! Sonst wäre er vermutlich doch wieder in Versuchung gekommen und hätte die Maske des braven Musterpfarrers aufgesetzt. Aber nun ... war es ja wohl schon zu spät dafür!
    »Nein!« sagte Pierre mit fester Stimme. »Ihre Ankunft kommt für uns überraschend. Die Post in diesem Winkel der Welt ist nicht sonderlich verläßlich.«
    Der Alte nickte – ohne auch nur eine Faser seines Gesichts zu bewegen – und drehte seinen Kopf zu den lärmenden Männern, die sich um das Automobil drängten und alles an ihm betatschten.
    »Diese einfältigen Seelen auf dem Land sind in mancherlei Hinsicht auf die Führung der Heiligen Mutter Kirche angewiesen. Und der Herr hat uns beiden eben diese Verantwortung für seine irdischen Kreaturen auf die Schultern geladen.«
    Er sah kurz zu seinem untergebenen, eingeölten Dominikanerbruder hinüber, der immer noch mit funkelnden Augen und gekreuzten Armen dastand. Auf ein unmerkliches Nicken seinesHerrn hin kam er nun sofort herübergeeilt und wandte sich vehement der Männermeute zu, die das schwarze Gefährt fortwährend befummelte.
    »He! Ihr! Bauernpack!« Er drängte sich zwischen sie und drückte sie an ihren Schultern zur Seite. »Nehmt eure ungewaschenen Hände da weg! Das ist das Automobil des Bischofs!«
    Als sich einige Männer des Ortes lautstark über diese ruppige Behandlung beschwerten und nur unwillig Platz machten, kam es fast zu einem Tumult. Das hatte wohl auch der Fahrer des schwarzen Gefährts bemerkt, der inzwischen seine Lederkappe und seine Fliegerbrille abgenommen hatte und sich emsig mit einigen Interessierten über den Motor unterhielt. Er beeilte sich damit, einigen Abstand zwischen sich und die verstimmte Meute zu bringen.
    Während sich hinter ihrem Rücken ein lautstarkes Hin und Her entspann, gab Zacharias Pierre mit einem knappen Handzeichen zu verstehen, ihm zu folgen.
    »Seine Exzellenz der Bischof hat mich über die spezielle Lage in Ihrer Pfarrei unterrichtet.« Nach wenigen Metern waren sie stehengeblieben, und der Alte schien das Geschiebe an seinem Vehikel gar nicht mehr wahrzunehmen – es war wohl unter seiner Würde.
    Er hatte nichts Menschliches: keine Mimik, keine Wärme oder irgend etwas, was man auch nur im entferntesten als sympathisch hätte bezeichnen können. Er redete stets

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