Seelenbrand (German Edition)
Gehör.
»Ich entschuldige mich für den Ablauf unserer Feier«, sagte er mit fester Stimme, stieg die beiden Stufen vom Altar herab und stellte sich in den Mittelgang zwischen die Bänke. »Unsere Kirche wird von vielen unterschiedlichen ... Menschen getragen«, fuhr er langsam fort. »Ich denke da zum Beispiel an Ihren verstorbenen Pfarrer Saunière, den Sie wohl alle sehr gemocht haben.«
Zustimmendes Nicken in den Bänken.
»Das, was Pater Zacharias gerade über ihn gesagt hat ...«, er ging langsam an den Bankreihen entlang, »... daß der Verstorbene in seinem Grabe wegen seiner Sünden keine Ruhe fände ... das ist eine Lüge!«
Aufgeregtes Gemurmel.
»Ich versichere Ihnen, daß der Herr ihm den Platz zugedacht hat, den er jedem Sterblichen zuweist.«
Wieder Gemurmel.
»Er ist nicht mehr unter uns! Glauben Sie mir!«
»Der Abbé hat recht!« meldete sich plötzlich ein Mann aus der hintersten Reihe. »Ich hab’ ihn mit eigenen Augen in seinem Grab gesehen! Der ist mausetot und kommt garantiert nicht zurück!« Es war Jacques, der Totengräber, der da so hilfreich seine Stimme erhoben hatte.
Die Leute drehten sich aufgeregt zu ihm um und flüsterten miteinander.
Pierre nickte ihm dankbar zu.
»Und was ist mit dem Teufel?« rief eine Frauenstimme von irgendwo.
Jacques setzte sich wieder und überließ Pierre die Beantwortung dieser schwerwiegenden Frage. Die Leute sahen ihn erwartungsvoll an.
»Der einzige Teufel ...«, sagte er ohne lange nachzudenken, um bei den Gläubigen nicht den Eindruck zu hinterlassen, er sei in diesem entscheidenden Punkt unschlüssig, »... den ich bis jetzt in unserem Ort gesehen habe ...«, er hob den Finger und sah in die Augen der Leute, die am Mittelgang saßen, und die jetzt die schauerlichste Enthüllung ihres Lebens zu erwarten schienen, »... der hatte eine Glatze und trug eine Kutte aus schwarzem und weißem Stoff!«
Betretenes Schweigen.
»Er meint wohl diesen Dominikanerpater!« rief jemand aus der letzten Reihe und lachte.
Die Leute sahen sich erstaunt an und schmunzelten. Das war offensichtlich nicht die Antwort, die sie erwartet hatten. An ihren Gesichtern konnte er allerdings auch ablesen, daß sie noch nicht zufrieden waren. Ihre Furcht, daß der Satan ihre vier Wände heimsuchte, war größer, als er gedacht hatte, und sie ließ sich nicht mit einem kleinen Scherz wegwischen. Mist ... jetzt ist guter Rat teuer! Sie sahen ihn immer noch erwartungsvoll an, bis der dicke Handwerker Olivier aufstand und das zusammenstotterte, was sie wohl alle dachten.
»Wenn also unser alter Pfarrer nicht spukt ... weil er eben ... tot in seiner Kiste auf dem Friedhof liegt ...«, er sah auf seinen Nachbarn, »... unser Totengräber Jacques ... hat ihn ja da drin gesehen ...«, er bekreuzigte sich eiligst, »... aber ... wer schleicht denn dann nachts in diesem schwarzen Umhang durchs Dorf?«
Zustimmendes Genicke und Gemurmel von allen Sitzplätzen.
Das Phantom! Die Antwort war doch ganz einfach. Aber es hatte wohl wenig Sinn, hier zu erklären, daß er schon versucht hätte, diesen Unbekannten zu fangen.
»Außerdem hat der alte Jacques ...«, Olivier hatte sich schon wieder gesetzt, ehe seinem verstaubten Gehirn eingefallen war, daß er noch etwas vergessen hatte, und er sich erneut unter Gepruste erheben mußte, »... er hat den Leibhaftigen doch selbst in seiner Speisekammer gesehen!« Unter dem Gemurmel der Leute, die sich mittlerweile alle nach hinten umgedreht hatten, zeigte er mit dem Finger auf seinen Nachbarn, der wie ein armer Sünder, zusammengesunken unter den Blicken seiner lieben Mitmenschen, neben ihm kauerte.
Dieser dämliche Kerl! Auch wenn er heute rasiert und gewaschen war, warum mußte denn ausgerechnet der Schwachsinnigste, der ihm hier im Ort begegnet war, das Wort führen und die Leute mit dieser Teufelsgeschichte wieder in Unruhe versetzen? Natürlich gab es hier keinen Dämon!
Langsam erhob sich der Totengräber von seiner Bank und beäugte verlegen die nach hinten gaffende Menge, die sich vor lauter Neugier fast den Hals ausrenkte. »Ich ...«, stotterte er hilflos herum, »... ich war ...«
Na ... jetzt bin ich aber mal gespannt!
»Also ... ich war besoffen!« murmelte er mit gesenktem Kopf. »Ich hab’ mit Maurice einen großen Topf Selbstgebrannten leergetrunken«, er stockte wieder, »... und als ich nach Haus kam, hab’ ich mir eingebildet, daß ... daß der Teufel bei mir in der Speisekammer gestanden hat!«
»Da gibt’s doch
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