Seelenbrand (German Edition)
Laterne und den zusätzlichen Kanister mit Petroleum, den sie sich an einem Riemen über die Schulter hängte. »Ich gehe vor ... dann muß ich mir wenigstens nicht länger dieses schmutzige Männergequatsche anhören!« Sie war knallrot, als sie sich in das Loch herabließ. »Ich möchte ja zu gerne wissen, woher du diese schmierige Phantasie hast!« zischte sie noch, bevor sie in der Öffnung verschwand.
Ehe Pierre sich verteidigen konnte, war sie auch schon abgetaucht. »Hey, warte!« Er sah sich um und griff schnell das Seil, seine Hacke und die andere Laterne. »Hey!« rief er wieder. »Sei vorsichtig! Warte auf mich!« Es dauerte einen Augenblick, ehe er seine ganz Ausrüstung zusammengerafft hatte und sich ebenfalls in das Loch herablassen konnte. »Marie?« rief er, während er die Lampe höher drehte und sich umsah.
Es war wieder eine dieser steinernen Treppen, die in engen Windungen in die Tiefe führte, genau, wie die, die sie im Nebenraum hinter dem alten Schrank gefunden hatten, und die sich in die Krypta hinunterwand.
»Marie?«
Wenigstens stank es in der Kirche und – er schnüffelte mit erhobener Nase – in diesem Gang hier nicht mehr nach der Leiche des Aushilfspfarrers. Seitdem sie seine angenagten Reste mit Erde zugeschüttet hatten, brauchte es zwar noch einige Zeit, bis sich in dieser stehenden Luft auch der letzte Dunst des fauligen Geruchs verzogen hatte, aber es war schon deutlich besser geworden.
»Marie! Laß das Versteckspiel ... und komm raus!«
Der Gang war eng, so daß er mit ausgestreckten Armen beide Wände gleichzeitig berühren konnte. Keine Antwort. Er hastete die steinernen Stufen hinunter bis um die nächste Biegung. »Marie?« Sein Ruf wurde von den dicken Mauern verschluckt. Immer noch keine Antwort. Sie muß doch hier sein! » Marie? Wo bist du?«
Er glaubte zwar immer noch an einen Racheakt, weil er sich über den Alten und seine Haushälterin lustig gemacht hatte, aber allmählich wurde er nervös. Sie war doch nur wenige Augenblicke vor ihm in dieses Loch gestiegen ... und der Gang – er hielt die Lampe hoch zur Decke, die in einem ebenmäßigen Rund denTreppenabgang überspannte – war aus dicken Blöcken gemauert. Hier gab es kein Entrinnen.
Aber wo ist sie? » Marie?« rief er nochmals mit aller Kraft. Er blieb stehen und lauschte. Immer noch keine Antwort. Sie mußte doch irgendwo vor ihm auf der Treppe sein ... vielleicht war sie aber auch schon so weit unten, daß sie ihn einfach nicht mehr hören konnte. Hoffentlich ist ihr nichts passiert! Sie wird in ihrer Rage doch nicht die Stufen hinabgefallen sein? Bei ihrem Temperament ...
Er beschleunigte seinen Schritt. Die Wände wiesen keine Besonderheiten auf, und an den muffigen Geruch hatte er sich in seiner neuen Pfarrei allmählich gewöhnt. Auch daran, daß er sich mehr unter der Erde aufhalten mußte, als hinter dem Altar. Schritt für Schritt schraubte er sich mit der Treppe in die Tiefe.
»Marie!« Er lauschte. Keine Antwort.
Jetzt wurde ihm heiß. Sein Herz begann zu rasen. Ich hätte sie nicht vorgehen lassen dürfen! Ich bin verantwortlich für sie! Verdammt! Verdammt! Er konnte sie doch nicht übersehen haben, denn es gab nur diesen einen Weg nach unten. Endlos wand sich die Treppe in die Tiefe. Wie in einem Schneckengehäuse führten die Stufen spiralförmig ins Ungewisse. Seine Gedanken begannen wie wild zu tanzen. Was ist ... wenn ihr etwas passiert ist ... und wenn ich sie nie mehr wiederfinden werde ... wenn sie für immer hier unten ... Es war aussichtslos, sich gegen diese panische Flut der Gedanken zu wehren, das Wasser stieg viel zu schnell. Mit jedem Schritt wurde seine Angst um sie größer. Sie muß doch irgendwo sein! Sie muß!
Um schneller das Ende der Treppe zu erreichen und dieser Ungewißheit endlich ein Ende zu machen, sprang er in halsbrecherischen Sätzen die Stufen hinunter. Er keuchte und sein Herz arbeitete wie ein Dampfhammer ... und diese Gedanken, daß ihr doch etwas passiert sein könnte, machten ihn fast irrsinnig vor Sorge. Es ist alles meine Schuld! Er hätte nie zulassen dürfen, daß sie sich an diesen gefährlichen Klettereien beteiligte. Wenn er sich in irgendeinem dunklen Kellerloch den Hals brechen würde ... wen kümmerte es? Sein Leben war ohnehin ruiniert! Aber sie? Sie war noch so jung ... und so wunderhübsch! Bestimmt hätte sie noch einen Mann gefunden ... der sie eines Tages aus diesem Nest befreit hätte.
Bong!
Was ist das? Er sah auf seine Füße.
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