Seelenbrand (German Edition)
»Er hat mir nur gesagt, daß ihm jemand aus Ihrer Gemeinde ans Leder wolle, und daß ich unbedingt mitkommen müßte ... im Namen der Kirche«, er winkte ab, »... oder so’n Quatsch! Und jetzt stehe ich hier und guck mir das Theater an!«
»Meinen Sie Pater Zacharias?«
»Ja, dieser knorrige Dominikaner da, mit seinem unerzogenen Bübchen!« Mißmutig trat der Dicke nach einem Holzstock. »Eigentlich wollte ich mir ja heute einen Hasenbraten schießen ... aber nein«, er riß die Arme hoch, »ich müßte sofort mitkommen. Es ginge um Leben und Tod ... und um die ...«, er kratzte sich hinterm Ohr, »... die Autorität der Kirche ... oder so’n Blödsinn!«
Die Menge vor ihnen wogte in Aufregung hin und her.
»Und weil es um die Kirche ging«, Pierre reckte sich, um besser sehen zu können, »da haben Sie sich erweichen lassen, herzukommen und auf den Hasen zu verzichten?«
Der Dicke drehte sich wieder zu ihm um und sah ihn schräg von unten an. »Mein lieber junger Abbé, Sie wollen mich wohlauf den Arm nehmen?« Er wandte sich wieder dem Tumult zu und stellte sich auf seine Zehenspitzen. »Außerdem haben sie mir eine Fahrt in diesem Automobil dort angeboten, um hierher zu kommen. Nur deshalb bin ich jetzt nicht auf der Jagd. Und nachher wollen sie mich sogar wieder zurückfahren!« Unter Ächzen und Stöhnen mühte sich der Gendarm – mit seiner zum bersten gespannten Uniformjacke – ebenfalls auf die hüfthohe Mauer. »Kann man von hier oben besser sehen?« japste er, während er sich mit Geschnaufe von den Knien in den Stand erhob. »Der Hase läuft mir ja nicht weg, aber dieses Automobil ... eine wahre Schönheit!«
Plötzlich kam Bewegung in die Menge. Wüste Beschimpfungen und Schmährufe machten die Runde, als sich Pater Zacharias und sein Gefolge den Weg durch die aufgebrachte Meute erzwang.
»Was sind das überhaupt alles für Leute?« Erstaunt blickte Pierre seinen immer noch schweratmenden Mitgucker an. »Die meisten kenn’ ich überhaupt nicht!«
»Ach«, der Dicke winkte gelangweilt ab, »die sind alle aus meinem Dorf. Um nichts in der Welt wollten sie dieses Theater verpassen!«
»Welches Theater?« Pierre sah ihn erstaunt an.
»Ja, wissen Sie denn nichts davon?« Er boxte ihn freundschaftlich an die Schulter. »Hier ist heute eine saftige Teufelsaustreibung angesagt!«
»Waaas?« Pierre kippte fast von der Mauer. »Exorzismus?«
»Nee, Teufelsaustreibung hat er gesagt!« Fasziniert begaffte der Dicke den Tumult zu seinen Füßen. »Hier, der war’s!« Er deutete auf Zacharias, der unten vor ihnen vorbeiging, den Stab mit dem Kreuz in seinen Händen. Der aber nahm sie oben auf der Mauer überhaupt nicht wahr, weil er viel zu sehr damit beschäftigt war, sich den Weg durch die störrische Menge zu bahnen. Gefolgt von Rodrigues, den vier Meßdienern, die die Anwesenden mit ihren Weihrauchschwaden einnebelten und ...
»Wer ist denn das?« Pierre zeigte auf die blasse Gestalt in Soutane, mit der Gelehrtenbrille auf der Nase, die den Abschluß dieser seltsamen Karawane bildete.
Der Gendarm hatte sich mittlerweile eine überdimensionale Zigarre angesteckt und hauchte genüßlich kleine Qualmwölkchen in die Gegend. »Den müßten Sie doch eigentlich kennen«, sagteer schließlich zwischen zwei Zügen. »Das ist Ihr Amtskollege aus meinem Dorf! Übrigens ein sehr beliebter Mann!«
Bei Pierre stellten sich augenblicklich sämtliche Nackenhaare auf. Natürlich! Er kannte diese blutleere Gestalt doch vom Pfarrfest im Nachbardorf. Damals hatte er ihn nur von weitem gesehen, umringt von seinen Pfarrkindern auf dem Kirchhof. Was wildert dieser widerliche Kerl überhaupt hier in meiner Gemeinde herum? Dessen saft- und kraftloses Dahingeschleiche erinnerte ihn sofort an seine Zeit im Priesterseminar und an diese endlos hohlen Diskussionen jener fahlen Brüder, mit denen er noch nie etwas anfangen konnte. Dieses fromme Gesäusel war ihm schon damals auf den Nerv gegangen ...
»Kommen Sie!« Der Dicke quälte sich unter großem Geschnaufe in die Knie und kletterte von der Mauer. »Das sehen wir uns mal aus der Nähe an!«
Die Menschenmenge hatte sich mittlerweile in unüberhörbarer Festzeltstimmung zum ersten Haus neben der Schenke bewegt, in dem eine alte Frau wohnte. Pierre hatte die scheue alte Dame schon häufiger auf der Straße getroffen.
»He!« Ruppig schob der Gendarm mit seinem goldenen Lametta auf den Schultern die Leute beiseite. »Macht mal Platz hier ... und laßt uns durch!«
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