Seelenbrand (German Edition)
bohrte Pierre weiter und traute sich dabei sogar noch näher in Oliviers Dunstkreis. Das Geheimnis, das an diesem Ort schlummerte, davon war er überzeugt, lag auf der anderen Seite der Kirchentür, nur wenige Schritte von ihm entfernt. Er mußte aus diesem Olivier jetzt so viel herausquetschen wie möglich. Jeschneller er diese Sache aufklärte, desto schneller hätte er seine Aufgabe hier erledigt und konnte die Gemeinde seinem Nachfolger übergeben. »Die Dokumente!« wiederholte er mit deutlichem Nachdruck und boxte Olivier, dem er an Kraft und Statur in nichts nachstand, ruppig gegen den Oberarm, um den lahmen Riesen ein wenig auf Trab zu bringen.
»Schatzkarten haben wir gedacht«, murmelte dieser schließlich ohne Zusammenhang. »Als wir die versiegelten Holzzylinder aufgebrochen haben«, seine Enttäuschung stand ihm immer noch ins Gesicht geschrieben, »... da war überhaupt kein Gold drin!« Er spuckte aus der Tür. »Nur diese alten Zettel.«
»Können Sie sich zufällig daran erinnern, was auf diesen Zetteln stand?« Eigentlich wußte er schon jetzt, daß diese Frage Jahrhunderte brauchen würde, ehe sie sich durch Oliviers Gehirngänge geschleppt hatte, aber er wollte die Angelegenheit hier so schnell wie möglich durchprügeln. Er hatte keine Lust, ewig auf diesem Friedhof zu leben. Jede Nacht war eine zuviel!
Olivier schob sich bedächtig – wie erwartet – erst einmal seinen speckigen Hut in den Nacken und kratzte sich dann ausgiebig an seinem stoppeligen Kinn.
Der Kerl macht mich noch verrückt! » Na los, Mann! Denken Sie nach!« Dieser Kerl war mit seinem Hobel eben schneller als mit seinem Verstand.
Unter anderen Umständen hätte es ihn auch gar nicht gestört, und er hätte christliche Nachsicht geübt. Aber im Augenblick wollte er die Gunst der Stunde nutzen. Und so abfällig, wie dieser dämliche Kerl über Bruder Severin gesprochen hatte, konnte er selbst eine kleine Lektion vertragen.
»Da stand was Ausländisches drauf, auf diesen ollen Zetteln!« sagte der schließlich bedächtig. »Auf dem einen Zettel«, fügte er noch schnell und eifrig hinzu, bevor Pierre genervt seine Augen verdrehen konnte, »war so ein Baum gemalt ... mit vielen Namen dran.«
»Meinen Sie einen Stammbaum?«
Er sah ihn mit großen Augen an, und Pierre konnte förmlich den Qualm riechen, der von seinem überlasteten Hirn aufstieg.
»Wenn Sie das sagen, Herr Pfarrer, wird’s wohl stimmen.« Das war alles, was noch aus seinen offensichtlich zusammengeschmorten Gehirnwindungen entkommen konnte.
Na ja! Da kommt nichts mehr! Pierre holte tief Luft. Eigentlich hatte er schon mehr erfahren, als er erhofft hatte. Er griff in seine Tasche und hielt Olivier ein paar kleine Geldscheine unter die Nase.
»Wieviel bekommen Sie für Ihre Arbeit?«
»Nein, nein!« wehrte sich dieser fast panisch gegen seinen verdienten Lohn. Er druckste herum und schabte mit dem Schuh über den Boden.
Nach einer Weile sah er Pierre an und nahm seinen Tabakmatsch aus dem Mund. »Haben Sie ihn auch schon gesehen«, stotterte er leichenblaß, »unseren toten Pfarrer?«
Was hatte dieser Holzkopf da gefragt?
»Und, haben Sie ...?« fragte Olivier noch einmal hoffnungsvoll nach.
Pierre sah ihn scharf an, aber der ungehobelte Klotz machte momentan nicht den Eindruck, als wolle er sich mit ihm einen groben Scherz erlauben.
»Der ist doch tot?« fragte er – jetzt ein wenig nachsichtiger – zurück, da Olivier mit geröteten Augen dastand. Weint dieser Kerl etwa?
»Sein Grab liegt zwar hinter der Kirche.« Der Holzkopf nickte mit seinem bulligen Schädel. »Aber ... aber ...«, er nahm offensichtlich erst einmal Anlauf. »Aber er findet dort unten keine Ruhe. Ich ... ich ... hab’ ihn schon mehrmals gesehen.«
Stille! Kraftlos sackte er zusammen. »Endlich ist es raus!« Schnaufend blickte Olivier zu Boden.
Pierre war ratlos. Streng sah er Olivier tief in seine vertränten Augen, als der sich wieder hochgerappelt hatte. Wie zwei aufgerichtete Bären standen sie sich jetzt schweigend gegenüber. Nicht einmal ein Blatt Papier paßte zwischen ihre beiden Nasenspitzen. Er sah ihm schweigend in seine Augen. Nur wenige Millimeter trennten sie. Keiner von beiden bewegte sich, aber Olivier hielt Pierres brennendem Schweigen stand.
»Mein Freund Jacques, der Totengräber ... er hat ihn auch ... auch gesehen«, japste er mit seiner letzten Luft.
Verdammt noch mal! Der Kerl ist doch tatsächlich davon überzeugt, den Alten gesehen zu
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