Seelenbrand (German Edition)
den er selbst gemalt hatte. Keiner von uns hat damals verstanden, was das sollte.« Er tippte sich mit dem Finger gegen die Schläfe. »Und dann erst dieses Hin und Her mit den zwei Figuren am Altar! Sie glauben nicht, was das für ein Theater war.« Erregt rutschte er auf der Truhe herum und durchsuchte währenddessen nervös seine Hosentaschen.
»Erzählen Sie weiter, Claude.« Pierre tätschelte ihm freundschaftlich die Schulter. »Wie war das mit den Figuren?«
»Ja ... es ging um Maria und Josef!« Er sprach wieder sehr langsam, so als müsse er sich in der Rumpelkammer seiner Erinnerungen erst einmal Licht machen. »Soviel ich weiß, sind diese Figuren extra angefertigt und von weit her mit dem Pferdefuhrwerk angeliefert worden. Dreimal hat er sie zurückgehen lassen, weil irgend etwas nicht genau so gemacht worden war, wie er es haben wollte. Geflucht hat er und getobt wie ein Irrer.« Oliviers Blick erhellte sich. Er hatte in seiner Hosentasche wohl endlich das gefunden, wonach er so angestrengt gesucht hatte. »Josef und Maria mußten unbedingt jeder ein Jesuskind im Arm halten. Ja, genau darum ging es damals! Jetzt weiß ich´s wieder!« Liebevoll wischte Oliver den verdreckten und verklebten Zigarrenstummel mit seinen schmutzigen Händen ab und steckte ihn sich dann zwischen seine gelben Zähne.
»Der alte Abbé hatte überhaupt so einen Tick mit der Zahl 2.« Jetzt fing er schon wieder an, in seinen Taschen zu wühlen. »Ja, der Kerl war regelrecht besessen. Als er mit seiner seltsamen Graberei auf dem Friedhof fertig war, hat er uns plötzlich mit diesem neuen Tick genervt.« Zunehmend erregter begann er mit seinen großen Händen herumzufuchteln. »Wir haben uns schon gar nicht mehr in die Kirche getraut, als der Umbau endlich fertig war«, schimpfte er, während er sich von der Truhe erhob und ein Streichholz entzündete, das er gerade zutage gefördert hatte. »Das war doch nicht mehr unsere Kirche!« Der Tabakmatsch zwischen seinen Zähnen weigerte sich, Feuer zu fangen. »Irgend etwas hat der alte Spinner mit unserem schönen Gotteshaus gemacht!«
Nein, der Tabakstummel brannte immer noch nicht, obwohl das Streichholz sich alle Mühe gab. »Autsch! Verdammt!« Er ließ das verkohlte Hölzchen fallen. »Diese häßlichen Bilder und Statuen und dann ... diese ausländische Inschrift am Portal.« Er nahm den widerspenstigen Stummel aus dem Mund und betastete ihn liebevoll. »Mist! Viel zu naß!«
»Was war nun mit dieser Inschrift an der Kirche?« Pierre saß immer noch auf der Truhe und sah sich die Vorstellung seines Gastes amüsiert an.
»Ach, ja!« Enttäuscht steckte er sich den klebrigen Stumpfwieder in den Mund. »Die kleine Marie Darmon, vielleicht kennen Sie sie schon, übrigens eine sehr nette Person, sie hat mir diese Zeichen über der Tür übersetzt, weil sie als einzige hier im Dorf so etwas lesen kann.«
»Sieh an, sieh an! Das ist ja sehr interessant!« entfuhr es Pierre, während er seine buschigen Augenbrauen nach oben zog. Dann kann diese vorlaute Person also auch noch Latein! Wahrscheinlich sogar besser als ich!
»Keiner von uns geht seitdem mehr in die Kirche ... wir sind doch nicht verrückt! Wie kann er uns denn da oben so was einmeißeln lassen? ... Schrecklicher Ort ... Keinen Fuß haben wir mehr da rein gesetzt. Daran hat auch dieser Aushilfspfarrer nichts geändert, der versucht hat, uns wieder in die Kirche zu locken.«
Unvermittelt streckte er Pierre – mitten im Satz – seine schmutzige Hand entgegen. »Ich muß jetzt gehen. Ich habe Sie schon viel zu lange belästigt.«
»Wieviel bekommen Sie für die Hobelei?«
Olivier zögerte mit seiner Antwort, als Pierre einige Scheine aus der Tasche holte. »Nichts!« sagte er schließlich furchtsam. »Ich möchte, daß Sie ... daß Sie für mich beten, Herr Pfarrer.«
Beide schwiegen.
»Beten Sie für uns alle hier«, flüsterte er. »Damit es uns in Ruhe läßt!«
Mit einem Knall fiel die Tür ins Schloß, und Pierre war wieder allein.
5
Mit schnellen Schritten ging Pierre in den Flur zurück. Kurz vor der Küche, in der sich die Mäuse bereits auf dem Eßtisch tummelten und sich um die letzten Brotstückchen rauften, bog er rechts ab und öffnete mit Schwung die Tür zum Arbeitszimmer. Jetzt war er es leid. Dieses ständige Gemunkel über die Kirche und das Geheimnis, das sie enthalten sollte. Er hatte es sich ohnehin vorgenommen, nach dem Frühstück der Sache auf den Grund zu gehen, da er gestern abend den
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