Seelenbrand (German Edition)
großen Eisenschlüssel für die Kirchentür mitten auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer gefunden hatte.
Und jetzt auch noch dieser stinkende Olivier mit seiner Spukgeschichte. Wenigstens hab’ ich schon eine Kleinigkeit im Magen, dachte er gereizt und griff nach dem schnörkeligen Stück Eisen. Wenn hier auch schon am zweiten Tag der Wahnsinn ausbricht, und mir die Irren das Haus einrennen, dann hätte ich genausogut bei meinen zwei vorherigen Gemeinden bleiben können.
Noch während er grollend seinen Gedanken nachhing, hatte er den Pfarrhof zügig überquert und stand jetzt am Portal der Kirche. Er hielt inne und nahm einen tiefen Atemzug von der warmen Luft dieses Sommertages.
Die Inschrift, die Statue der Maria Magdalena, die feuchte und vermooste Wand, alles war noch genau so, wie er es gestern in aller Eile zurückgelassen hatte. Er bildete sich ein, schon wieder diesen fauligen Gestank wahrzunehmen, der sich bei diesen Temperaturen besonders penetrant zu verbreiten schien.
Aber etwas war anders als gestern. Er hatte einen Schlüssel! Jetzt ist Schluß mit dem Rätselraten! Vielleicht war es – und das hoffte er inniglich – der Schlüssel, mit dessen Hilfe er dem Wahnsinn an diesem Ort jetzt endlich ein Ende setzen konnte, so wie es der Bischof und seine ganze Familie von ihm erwarteten.
Atemlos steckte er den rostigen, großen Schlüssel in das geschmiedete Schloß der Kirchentür und drehte ihn langsam, unter markerschütterndem Quietschen herum.
»Das Moos, ich habe es nicht vergessen«, flüsterte er leise vorsich hin, als er sich die Innenfläche seiner Hand betrachtete, mit der er den Schlüssel gedreht hatte. »Aber diesmal bin ich vorbereitet und lasse mich nicht von irgendwelchem Spuk überraschen. Dieses Mal nicht!« preßte er durch seine Lippen und drückte die Klinke mit Entschlossenheit nach unten.
Die schwere Tür gab nach und ließ sich knarrend einen Spalt weit aufdrücken. Sofort versetzte Pierre ihr, ohne lange nachzudenken, einen gewaltigen Tritt mit dem Fuß. Nach seiner ekelerregenden Erfahrung am Bücherturm, wich er einige Schritte zurück und beobachtete gespannt das schwarze Loch, das jetzt vor ihm klaffte.
Angewidert drehte er sich zur Seite, als ihn der faulige Geruch erreichte, der dem Gemäuer sanft entglitt. Gott sei Dank war der Gestank hier bei weitem nicht so unerträglich wie am Turm.
Während er sich eiligst die Hände an seinem schwarzen Gewand abputzte, starrte er immer noch gebannt auf die geöffnete Tür. Nichts geschah! Aber was sollte auch geschehen? Hatte er etwa erwartet, daß er das Tor zur Hölle geöffnet hatte, und alle Dämonen der Finsternis aus diesem Loch quellen würden? Glücklicherweise war niemand da, dem er diese Frage hätte beantworten müssen. Und seine Hände? Pierre betrachtete sie eingehend, aber es war nichts Ungewöhnliches an ihnen zu sehen. »Kein Moos!« seufzte er erleichtert und blickte verstohlen zur Seite. Wenn dich hier jemand so sieht, Pierre du Lac, dann sperren sie dich ein. Genau wie diesen irren Totengräber.
Er holte tief Luft und ging langsam auf das dunkle Türloch zu, durchschritt das kniehohe Unkraut auf der Schwelle und betrat die Finsternis der Kirche. Sofort breitete sich eine Gänsehaut auf jedem Zentimeter seiner Haut aus. Es mußte wohl die Kühle sein, die ihn plötzlich umfing, die bei ihm dieses Frösteln auslöste. »Es ist nur die Kälte, Pierre«, murmelte er. »Ganz ruhig!«
Allmählich gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Bewegungslos stand er da und lauschte gespannt der Stille, die ihn umhüllte. Die Vögel, die draußen diesen herrlichen Sommertag mit ihrem Gezwitscher feierten, waren hier drinnen nicht mehr zu hören. Die wehrhaften Mauern der Kirche ließen überhaupt nur an wenigen Stellen einige Lichtstrahlen in das Innere des Gebäudes. Die wenigen Fensterchen, die eher wie mit Glas versiegelte Spalten in der Wand aussahen, waren so schmal,daß gerade ein Arm oder eine Hand hindurch gepaßt hätte. Wenn er die Tür hinter sich schloß, gab es aus diesen Mauern kein Entrinnen mehr. Es war ein stinkendes Gefängnis!
»Verdammt noch mal!« Er zuckte zusammen, als seine Augen etwas erfaßt hatten. Es tauchte direkt hinter ihm auf und hatte sich im Schatten der schweren Eingangstür versteckt. Blitzschnell machte er einen Satz nach vorn, ins Innere der Kirche, um Abstand zwischen sich und dieses dunkle Ding zu bringen. Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken, schnappte er sich den
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