Seelenbrand (German Edition)
schweren Kerzenständer, der wie ein Geschenk des Himmels neben ihm auftauchte, und drehte sich um. Wo ist es? Hat es sich bewegt? Nein, es stand immer noch da, stellte er erleichtert fest. Aber er war immer noch auf dem Sprung, mit der drohend erhobenen Messingkeule. Vorsichtig näherte er sich der finsteren Nische, bis er endlich etwas erkennen konnte.
»Der Teufel!« japste er kurzatmig und rang nach Luft. Sein Herz rumste wie ein Dampfhammer. Er war fassungslos. Eine menschengroße Statue des Satans! Und das mitten in meiner neuen Kirche! Aber Gott sei Dank ist dieses Ding nur aus Stein!
Langsam ließ er den schweren Kerzenständer sinken und mußte sich beim Anblick dieser häßlichen und furchteinflößenden Kreatur unvermittelt fragen, ob er dem Herrn der Finsternis tatsächlich einen übergezogen hätte, wenn dieser vor ihm aufgetaucht wäre. Mit zunehmender Erleichterung wurde ihm erst jetzt seine Lage bewußt. Was hatte man ihm denn eigentlich auf diese Mission mitgegeben? Besaß er denn irgend etwas, das ihm helfen konnte, auch nur eine Sekunde gegen die Mächte zu bestehen, die hier jedermann am Werke sah. Er hatte absolut gar nichts in seinem Besitz, mit dem er das Böse, das sein Bischof hier vermutete, hätte aufhalten können. Er mußte unvermittelt lächeln, als er die primitive Keule in seiner Hand betrachtete, mit der er gegen den Herrn der Hölle antreten wollte. Eine Berührung oder ein Hauch von ihm, und ich würde zu Staub zerfallen ... Niemand ist auf dieser Welt mächtiger als er ...
Seine einzige Waffe war wohl die gewisse Verwegenheit, die in ihm steckte, und die man ihm auch während seiner Ausbildung zum Priester nicht hatte nehmen können. Es war einfach seine Natur!
»Da ist es doch kein Wunder, daß die Leute hier verrückt gewordensind und diese Kirche nicht mehr betreten wollen«, brummte er kopfschüttelnd und wandte sich wieder dem Kirchenraum zu. Was hatte sich der alte Abbé nur dabei gedacht? Wie sollte er hier arbeiten, mit diesem Kerl da hinten in der Nische?
Vorsichtig trat er an die letzte Bankreihe heran, von der aus er das ganze Kirchenschiff im Blick hatte. An beiden Seiten des schachbrettartig gefliesten Mittelganges, der zum Altar und zu der danebenliegenden Kanzel führte, standen je sieben Bänke für die Gläubigen.
Nichts erinnerte ihn hier an die atemberaubenden hohen Gewölbe der gotischen Kirchen, die er allein schon wegen ihrer schwierigen bautechnischen Raffinessen bewunderte. Wäre er einige hundert Jahre früher geboren ... der Bau eines solchen Gebäudes, das wäre eine wirkliche Aufgabe für ihn gewesen.
Die vier stämmigen Pfeiler, die an jeder Seite der inneren Kirchenwand aus dem massigen Mauerwerk wuchsen, stiegen im runden Bogen in die Höhe. Am obersten Punkt des Gewölbes vereinigten sie sich mit den von der gegenüberliegenden Wandseite kommenden Rundbögen und bildeten einen perfekten Halbkreis, die Decke. Aber nirgendwo – er legte seinen Kopf in den Nacken – schraubte sich hier ein Pfeiler in schwindelnde Höhen, um dann irgendwo auf seiner Spitze, in vierzig Metern Höhe, ein filigran konstruiertes Gewölbe zu jonglieren und an seinem Platz zu halten. Die stumpfe Massigkeit der Mauern und das schmucklose Rund des Gewölbes gaben seinem neuen Arbeitsplatz eher den Charakter einer Felsengrotte, in der sich der Betende auf seine Knie niederlassen und sich zusammengesunken dem Schutz der Erde anvertrauen konnte.
Während er seinen Blick durch den Raum schweifen ließ, ging er langsam an den einzelnen Bankreihen vorbei. Und bei jedem Schritt glaubte er das leise Knacken und Krachen der Gebeine zu hören, die unter seinen Füßen lagen. Und wenn er diesem Olivier Glauben schenkte, so bestanden diese Mauern aus Knochen und menschlichen Resten, die bis zum Dach des Gotteshauses aufgeschichtet worden waren.
Sein Blick fiel auf eine in der Dämmerung ruhende Station des erneuerten Kreuzwegs. Nach allem, was er bis jetzt erfahren hatte, empfand er in der Nähe dieses Reliefs, das die Kreuzigung des Herrn zeigte, nicht die religiöse Hingabe, die man von einemPriester eigentlich erwartete. Das in Stein gemeißelte Bildnis war an diesem Ort wohl nichts anderes als ein kunstvoll gestalteter Pfropfen in der Wand, der die Knochen der Toten davon abhalten sollte, sich klappernd in das Kircheninnere zu ergießen.
Um sich von dieser widerlichen Vorstellung nicht weiter umspinnen zu lassen, wandte er sich von den Wänden ab und richtete seine Sinne auf
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