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Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
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denen Olivier gesprochen hatte: Maria und Josef. Beide hatten ein Jesuskind auf dem Arm, so wie er es ihm – wenn auch nur mit viel Gehuste und Gepruste – erzählt hatte. Auf den ersten Blick wiesen die zwei Statuen nichts Außergewöhnliches auf. Sie waren weit weniger aufwendig und liebreizend gestaltet als Maria Magdalena und entsprachen daher schon eher Pierres Vorstellung von sakraler Kunst. Den Blick verklärt gen Himmel gerichtet und in gebeugter Haltung, niedergedrückt von der ihnen aufgebürdeten Verantwortung. Das Jesuskind auf dem Arm und die Hände fromm gefaltet.
    So sehr sich Pierre auch bemühte, er konnte einfach nichts Außergewöhnliches an diesen Figuren entdecken, die der alte Abbé bis ins Detail selbst entworfen und immer wieder hatte ändern lassen. Er war besessen von der Zahl »Zwei«! Darauf hatte ihn dieser grobe Handwerker in diesem Zusammenhang doch noch hingewiesen. Bewegungslos stand Pierre genau zwischen Josef auf der Linken und Maria auf der Rechten. Die Arme vor der Brust verschränkt, wobei er sich mit einer Hand gedankenversunken immer wieder über sein Kinn strich. Das einzige, was ihm dazu noch einfiel, war der Satz Olivers, daß der alte Abbé unbedingt darauf bestanden hatte, daß sowohl Josef als auch Maria je ein Jesuskind auf dem Arm halten sollten. Nein, er schüttelte kurz den Kopf, darauf konnte er sich keinen Reim machen. Zur Not würde er diesen Handwerker noch einmal befragen, denn so wie die Dinge momentan lagen, benötigte er wohl ohnehin dessen Hilfe, um die dicke Tür zum Keller zu öffnen. Eigentlich brauchte er nur dessen Werkzeug, und den Rest hätte er alleine – ohne großen Aufwand und ohne das Gehuste und Gepruste – erledigt. Wahrscheinlich war es aber leichter diesem Olivier einen Backenzahn zu ziehen, als ihn dazu zu überreden, sich für einen Tag von seinem Handwerkszeug zu trennen.
    Während Pierre sich immer tiefer in seine Gedanken verstrickte, war er vor den Altar getreten, als ihm das große Relief auf dessen Frontseite auffiel. Er kniete sich nieder, um besser sehen zu können. Die zitternden Lichtstrahlen der Sonne, die sich durch die staubige Luft schnitten, gaben ihm ihre ganze Kraft und ließendas Gemälde auf dem Altar im fahlen Schein erglimmen. »Maria Magdalena«, flüsterte er und wendete den Kopf zu der Statue, die ihn schon vorhin in ihren Bann gezogen hatte. Es war dieselbe junge und hübsche Person, jedoch noch lieblicher und verführerischer gestaltet. Sie kniete – in ein goldenes Gewand gehüllt – mit gefalteten Händen vor einer Höhle. Im Unterschied zu ihrem Standbild nebenan trug sie keinen Umhang, so daß ihr schlanker, elfenbeinfarbener Hals und ein kleiner Teil ihrer unbedeckten Schultern zu sehen war. Das lange, wallende Haar, ihre geröteten Wangen, ihre Augen und ihre Lippen, alles war noch liebreizender. Wer auch immer dieses Kunstwerk erschaffen haben mochte, er hatte mit diesem Bild eine Liebeserklärung hinterlassen.
    Ratlos kniete er am Altar. Natürlich kannte er sie aus dem Evangelium, wie sie als Sünderin dem Herrn die Füße salbte, genau so wie es das runde Glasfenster dort oben zeigte, und sie war die erste am Grabe Jesu nach dessen Auferstehung. Aber was hatte das alles mit dieser Kirche zu tun? Warum hatte der alte Abbé neben der Figur der Maria Magdalena draußen am Portal die Warnung D IESER O RT IST SCHRECKLICH anbringen lassen? Wenn er einmal von dieser teuflischen Fratze am Eingang absah und den Gebeinen, die in den Mauern lagen, so hatte er bis jetzt doch nichts entdeckt, das so ungeheuerlich war, daß es hier drinnen vor den Augen der Menschen verborgen werden mußte.
    Und was hatte das alles hier mit dem plötzlichen Reichtum des alten Abbé zu tun und mit seiner hartnäckigen Weigerung, dem Bischof zu benennen, woher das Geld stammte?
    Er schnaufte und fuhr sich durch die Haare. Eigentlich hatte er doch gehofft, hier in der Kirche die Gründe für die Teufelshysterie in seiner neuen Pfarrei zu entdecken. Diese Panik vor dem Satan und dieser spukende Geist seines Vorgängers, für ihn hing das alles irgendwie zusammen.
    Enttäuscht erhob er sich von seinen Knien und ließ sich auf die nächstbeste Kirchenbank sinken. Selbst wenn er annahm, daß der alte Pfarrer noch mehr Gold gefunden hatte, das ihm erlaubt hätte, diesen »unziemlichen Lebenswandel« zu führen – wie der Bischof bei ihrem Treffen gesagt hatte –, so ergab es trotzdem keinen Sinn, daß eine Kommission in Rom seine

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