Seelenbrand (German Edition)
Suspendierung wieder aufgehoben hatte. Wie konnte das Wort eines ungehorsamenLandpfarrers, der hier im Languedoc wie ein Burgherr residierte und sein Geld aus dunklen Quellen schöpfte, in Rom mehr Gewicht haben als das Wort seines Bischofs? Daß dieser sich nachher damit gerächt hatte, daß er dem alten Abbé die Letzte Ölung verweigerte, war hingegen nicht schwer zu verstehen. Warum hatte der alte Pfarrer seine Gemeinde nicht einfach verlassen? Mit dem Geld, über das er zu verfügen schien, hätte er sich an jedem Ort, der ihm beliebte, einen Landsitz oder ein Weingut kaufen können. Statt dessen vergrub er sich in seinem Burgturm und sammelte diese Gemälde mit dem Motiv des Letzten Abendmahls. Und dann sein plötzliches Interesse an der besonderen Ausgestaltung des Kirchenraums. Daß dieses über tausend Jahre alte Gemäuer hin und wieder renoviert werden mußte, damit es seinen Gläubigen nicht während der Messe über dem Kopf zusammenstürzte, konnte Pierre ja noch nachvollziehen. Woher kam aber dieser Wahn des Alten, der ihn dazu veranlaßt hatte, den gesamten Innenraum der Kirche – mit seinem jahrhundertealten Inventar – förmlich auszuweiden und danach mit Statuen und Wandgemälden aus eigener Hand wieder zu füllen? Warum wollte er alle Spuren der Vergangenheit in seiner Kirche auslöschen? Welchen Grund gab es, die Statuen von Maria und Josef zu verändern, ja sogar neu zu erschaffen? Warum ließ er den Kreuzweg nach seinen Vorstellungen umgestalten, und welche Bewandtnis hatte es mit dieser Maria Magdalena, deren strahlendes Antlitz dem Besucher aus jeder Ecke dieses muffigen Grabes entgegenlächelte?
Ermattet ließ Pierre seinen Kopf auf die Brust sinken und seufzte herzzerreißend. Er war doch gerade erst den zweiten Tag hier, und schon wieder türmte sich vor ihm eine schier unlösbare Aufgabe auf. Genau wie damals! Hätte ihn seinerzeit nicht diese schwere Lungenentzündung befreit, würde er noch heute bei Wind und Wetter zwischen diesen beiden Pfarreien in den Bergen hin-und herhetzen. Warum konnte die Vorsehung ihm nicht wenigstens – wenn er schon Priester sein mußte – eine ruhige und gemütliche Gemeinde bescheren, in der die Menschen ganz einfach geboren wurden, heirateten und starben? War denn das zuviel verlangt?
Rums!
Ein lauter Knall und eilige Schritte ließen ihn aus seinen Gedankenhochfahren. Schlagartig wurde es ihm wieder bewußt in welch rätselhaftem Gemäuer er hier so seelenruhig vor sich hin dämmerte. Er riß den Kopf herum, doch die Kirche hinter ihm war leer ... und dieser mannshohe Satan stand immer noch bewegungslos in seiner Ecke an der Eingangstür.
Die Sakristei! Es muß hier noch einen weiteren Raum geben. Da, im Dunklen, hinter der Statue der Maria Magdalena ist eine Tür. Mit festem Schritt ging er auf den Beichtstuhl zu, der daneben stand und zog jede der drei Türen nacheinander – ohne zu überlegen – mit aller Kraft los, so daß er sie dabei fast aus den Angeln riß. Der altersschwache Holzkasten seufzte auf.
Leer!
Allmählich baute sich in ihm eine Woge des Zorns auf, die unaufhaltsam größer wurde. Er wußte im Moment zwar nicht, worüber er sich jetzt am meisten ärgerte, über die Tatsache, daß man ihn hierher verbannt hatte, oder darüber, daß in der Kirche jemand herumschlich, der ihm Angst zu machen versuchte.
»Komm raus und zeig dich!« rief er drohend und warf seinen kräftigen Körper gegen die Tür der Sakristei. Ohne Widerstand zu leisten flog sie mit Getöse auf.
Der muffige, schmucklose Raum bestand aus vier kahlen Steinwänden und einem ebensolchen Boden. Aber hier war es wesentlich heller als nebenan in der Kirche. Das Licht fiel ungehindert durch zwei vergitterte Fenster auf einen mächtigen, alten Holztisch und einen dunklen zweitürigen Schrank. Das war alles, mehr stand nicht in diesem Raum. Wütend stürzte er sich auf den mannshohen Schrank und riß die Türen los. Ganz egal, wer darin stecken mochte, eine Tracht Prügel war ihm jetzt schon sicher, und sie würden diese kindische Spukgeschichte sofort aus der Welt schaffen! Hier und jetzt!
Aber, dieser verdammte Schrank war leer! Ein paar muffige Meßgewänder hingen an der Rückwand, das war alles. Pierre sah genau hin, aber kein Zweifel, außer den Gewändern war nichts drin. Enttäuscht sah er sich in dem alten Kasten um, der weder dunkle Ecken, noch irgendwelche Verstecke aufwies. Die Sonne, die von oben durch die Gitter fiel, leuchtete jeden Winkel des Inneren
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