Seelenbrand (German Edition)
er zwei Knäblein mit lockigem Haar neben der Gottesmutter stehen sehen. Diese Kleinen reichten ihr bis zur Hüfte und klammerten sich ängstlich an ihr Gewand.
Was seid denn ihr für Welche? Engelchen? Er ließ seinen Blick unentwegt von einem Lockenkopf zum anderen hin- und herspringen. Maria mit dem Kinde auf dem Arm, ja, das war doch wohl die klassische Darstellung, wie sie ihm schon hunderte Male über den Weg gelaufen war. Selbst die Maria in seiner eigenen, stinkenden Kirche trug das Jesuskind auf ihrem Arm, wenn er einmal von der Kleinigkeit absah, daß ihr Ehemann Josef ebenfalls ein Jesuskind hielt.
Aber hier .. . Er machte einen Schritt zurück, um sich nochmals die Figurengruppe als Ganzes zu betrachten. Vorher streckte er vorsichtig seinen Kopf aus dem Gebüsch und beäugte den Weg. Das gäbe ja ein schönes Getuschel! Noch einmal richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Statuen und beschloß schließlich nach längerem Hinsehen, daß es sich bei den beiden um kleine Engelchen handeln mußte, die Maria begleiteten, auch wenn sie – er riß die störenden Efeuranken ab und beäugte dann sorgfältig deren Rückseiten – nicht die kleinste Spur von Flügelchen vorweisen konnten.
Vielleicht war er ja auch ein bißchen naiv – wegen der Engelsflügel –, aber bisher hatte er sich immer mit gutem Erfolg auf dieses feste Merkmal verlassen können, wenn er es mit sakraler Kunst zu tun hatte. Bislang hatten Engel immer Flügel! Immer! Jedenfalls hielten es diese neugierigen Leute für wichtig, ob es sich auf einem Bildnis dort oben an der Kirchendecke nur um einen Knaben handelte, der die Schafe hütete, um einen Engel, oder sogar um das Christuskind selbst. Mehr als einmal hatten ihm diese lästigen Besucher bei einer solchen Gelegenheit ein Loch in den Bauch gefragt ... als ob es von irgendwelcher Bedeutung gewesen wäre, wer da oben auf den Putz gepinselt worden war. Alles, was ihn daran interessierte, war die Frage, warum dieses schwere Kuppelding nicht einfach in sich zusammenstürzte und diese nervigen Plagegeister – die ihn bedrängten – unter sich begrub. Ja ... Statik! Das wäre bestimmt mein Steckenpferd geworden ... damals. Er blickte Maria und ihre Knaben – oder Engelchen, er war immer noch unschlüssig – noch einmal an. Vielleicht hatte er etwas Wichtiges übersehen? Aber er konnte nichts entdecken.
Als er, sich vorsichtig umblickend, wieder auf den staubigen Weg hinaustrat, versuchte er noch die ungefähre Richtung zu ermitteln, in die die Gottesmutter mit ihrer Hand wies. Hm? Aber da unten ist doch gar nichts! Er sah die Hügel, die Ruinen der Templerburgen und Ordenshäuser und die saftige Natur mit ihrem Teppich aus grünem Gras und den kleinen buschigen Baumgruppen.
Tja?
Da er an diesem Punkt mit seinem Latein am Ende war, klopfte er sich enttäuscht das Pflanzenzeug ab.
Dann wollen wir mal hören, ob wenigstens dieser irre Totengräber etwas Interessantes zu erzählen hat!
Noch bevor er das kleine Nachbardorf überhaupt betreten hatte, waren ihm schon von weitem die bunten Bänder aufgefallen, die überall wehten und dem Wandersmann mit ihren leuchtenden Farben den Weg wiesen. H ERZLICH W ILLKOMMEN stand auf einem großen Schild inmitten eines Bündels flatternder Stoffstreifen. Es schien irgendeine Art von Fest im Gange zu sein, für das sich der ganze Ort herausgeputzt hatte. Da Pierre keine Lust hatte,jede Gasse nach der Gendarmerie abzusuchen, hielt er es für das beste, bei seinem Pfarrerskollegen vorbeizusehen und sich vorzustellen. Der wüßte bestimmt, wo man diesen irren Brandstifter verwahrte.
Die Dorfstraße führte immer geradeaus zwischen den Häusern hindurch. Die waren – genau wie in Rennes – aus diesen felsigen Brocken zusammengemauert, die an jedem Hang in der Umgebung herumlagen. Alles wirkte genauso roh und abweisend wie seine eigene Pfarrei. Eben nur mit dem Unterschied, daß er sich hier im Tal befand, und die Häuser nicht ganz so gedrängt standen, wie dort oben bei ihm.
Ah! Da hinten ist ja schon der Kirchturm. Dann ist der Pfarrer sicher auch nicht weit . Pierre bog noch um eine weitere Ecke und stand mitten auf dem geschmückten und dichtbevölkerten Kirchplatz. Offensichtlich hatten sich die meisten Bewohner hier vor der Kirche versammelt. Auf der Straße war ihm – außer ein paar spielenden Kindern – niemand sonst begegnet. Das sah ganz nach einem Pfarrfest oder so etwas aus. Die Leute beachteten ihn nicht weiter und hielten ihn wohl
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