Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenbrand (German Edition)

Seelenbrand (German Edition)

Titel: Seelenbrand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Mickholz
Vom Netzwerk:
hat er zwar kein einziges Haar mehr ... aber dafür im Gesicht um so mehr! Seine buschigen Augenbrauen und sein übergroßer Schnurrbart waren wohl das Ergebnis jahrelangen Wildwuchses.
    »Ihre Frau hat gesagt, ich könnte ...« Pierre zog es vor, seine Gedanken besser für sich zu behalten, als sich dieser Dreihundertpfünder vor ihm aufbaute und sich mit seinem beeindruckenden Unterarm den Schweiß von der Stirn wischte. Der sieht wirklich aus wie ein Preisringer, oder wie dieser Herkules vom Jahrmarkt, der marktschreierisch als der stärkste Mann der Welt angekündigt wird, und der dann vor den Augen der staunenden Menge seine Gewichte in den Himmel stemmt.
    »Ich hole den Reviervorsteher!« brummte der Koloß und stampfte dampfend um die Ecke eines Schuppens, um wenige Augenblicke später – genauso verschwitzt wie zuvor, aber jetzt mit einer knallroten Uniformjacke bekleidet – an der anderen Ecke des Verschlages wieder aufzutauchen.
    Das ist ja nicht zu glauben! Eine Zirkusjacke! Auf den Schultern trug der Dicke eine üppige Dekoration aus goldenem Lametta, das ihn jetzt zum Direktor eines Jahrmarktes machte. Der spinnt doch, oder?
    »Er ist da drin!« Der Gendarm schloß unter Geächze und mit hochrotem Kopf den obersten Knopf seiner Zirkusuniform, die kurz vor der Explosion stand. Es war offensichtlich, daß die Dienstjacke – oder wie auch immer man diese Verkleidung nennen sollte – seine Massen nur mit Mühe unter Verschluß halten konnte, auch wenn er sich redlich bemühte, den Bauch einzuziehen. Die dreihundert Pfund ließen sich einfach nicht verdrängen oder gar überlisten. Jetzt war die große Beule seines eingezwängten Bauchs nämlich gerade an der Hüfte herausgequollen. Ein Bild für die Götter!
    »Kommen Sie, der wird sich sicher über Ihren Besuch freuen.« Der Gendarm war unerwartet freundlich und führte ihn zu einer Art Keller, der in den kleinen, grasbewachsenen Hang am Ende des Gartens eingelassen war. Die Vorderseite bestand aus einer massigen Wand – gemauert aus Felssteinen –, einer Holztür und einem vergitterten Fenster. Der Rest des Kellers – oder des Gefängnisses, je nach dem, wie man es betrachtete – steckte quasi in der Erde dieses grünen Hügels.
    Davor standen auf einer kleiner Grasinsel – inmitten der Gemüsebeete – ein alter Holztisch und zwei Stühle, unter denen kleine Blümchen wuchsen. Der Dicke mit seinem Riesenschnurrbart paßte auch nur mit Mühe durch die Kellertür, die zu Pierres Verwunderung nicht einmal abgeschlossen war. Schönes Gefängnis! Über dem Eingang hingen wie zur Dekoration einige Gartenkräuter und Zwiebeln zum Trocknen!
    »Kommen Sie rein!« Der Gendarm schob mit dem Fuß eine Kiste Äpfel beiseite bevor sie das Halbdunkel des kühlen Raumes betraten. Überall standen Körbe und Behältnisse herum, die mit Obst oder Gemüse gefüllt waren.
    »Da ist er!« Der Dicke mit dem Eierkopf deutete auf eine dunkle Kellerecke, in der ein Mann auf ein paar Strohsäcken bewegungslos auf dem Rücken lag. Er hatte sein Gesicht in Richtung Decke gerichtet, und seine Augen waren geschlossen. So wie es aussah, schlief er. Als sie näher kamen, bemerkte Pierre, daß der Unglückliche mit einer Kette um sein Handgelenk, wie ein Tier, an der Wand festgemacht war.
    »Schließen Sie den Mann sofort los! Wir sind doch hier nicht im Zirkus, wo man die Tiere ankettet!« Eindringlich sah er den Dicken an, der breit wie ein Walroß neben ihm stand, aber keine Anstalten machte sich zu bewegen.
    »Was meinen Sie damit: Zirkus?« Jetzt äugte der Gendarm gereizt zurück und stemmte seine Hände in die Seiten. »Wollen Sie sich über mich lustig machen?«
    »Im Namen der Kirche und der Menschlichkeit!« Pierres Ton wurde schärfer. Wenn es dieser dickfällige Kerl so haben wollte, bitte. »Ketten Sie den Mann los!« Drohend baute er sich vor dem Gendarmen auf und sah ihm in die Augen. In Größe und Kraft stand er diesem Zirkuselefanten in nichts nach. Das einzige was sie trennte – unauffällig musterte er seinen Gegenüber – dürften wohl diese mehr als einhundert Pfund sein. Bei einem Ringkampf war er klar im Nachteil ...
    »Er gehört zu meiner Kirchengemeinde!« zischte er, während er sich dem Walroßgesicht so weit genähert hatte, daß sich ihre Nasenspitzen fast berührten. » Ich bin für ihn verantwortlich!«
    Der Gendarm blieb unbeweglich stehen und wich Pierres Blick keinen Millimeter aus. Die Spannung war derartig elektrisch, daß es eigentlich

Weitere Kostenlose Bücher