Seelenfaenger - Deine Liebe raubt dir den Verstand
noch, als sie sich vor den Blockhütten auf einen kleinen Fels setzte und den Kopf in ihren Armen vergrub. Heiße Tränen liefen ihr über die Wange und wärmten diese. Mia wusste selbst nicht, wieso sie ihren Gefühlen so derart freien Lauf ließ. Normalerweise tat sie das nicht. Sie war nicht sie selbst. Ihr Panzer aus Arroganz und Härte zerbrach, sobald einer der Zwillinge in ihrer Nähe erschien. Sie tat Dinge, die sie nicht tun wollte. Sie dachte Sachen, die sie nicht denken wollte. Und das Schlimmste, sie fühlte Dinge, die sie nicht fühlen wollte. Bei Nathan war es einfach nur die nackte Angst. Und bei Aleksander …
Bei Aleksander war es noch schlimmer. Er weckte Empfindungen in ihr, von denen sie nicht einmal geahnt hatte, dass sie existierten. Da waren Abneigung, Zorn und Hass. Doch da war auch dieses eine Gefühl, das sie nicht beschreiben konnte, dass sie einfach nicht zu fassen bekam. Irgendwie glich es einer Art Sehnsucht, einer tiefen Verbundenheit, die ihr die Knie weich werden ließ und ihr Herz zum Rasen brachte.
Doch Mia war eine Kämpferin, vor allem, wenn es darum ging, Gefühle erfolgreich zu unterdrücken. Und genau das tat sie jetzt. Krampfhaft versuchte sie den Tränenstrom zu stoppen. Sie schüttelte die pinkfarbenen Haare nach hinten und wischte sich über das verschmierte Gesicht. Nachdem sie dreimal tief Luft geholt hatte, stand sie auf, lief in die Blockhütte und schnappte sich ihren Rucksack mit den Badesachen. Den Rest des Tages verbrachte Mia hinter einer Ansammlung niedriger Sträucher am Fuße des Badesees. Sie schlug die erste Seite ihres neuen Buches auf und driftete geistig ab in eine entfernte Märchenwelt. Nicht einmal zum Mittagessen tauchte sie auf und gab sich ganz der Hoffnung hin, dass ihr Fehlen unbemerkt bleiben würde.
Erst als es bereits dämmerte, meldete sich ungewollt ihr Magen zu Wort. Laut knurrend machte er sie darauf aufmerksam, ihn nicht weiterhin mit Nichtbeachtung zu strafen. Mit dem Kopf noch immer in fantastischen Welten, packte Mia ihre Habseligkeiten zusammen und trottete Richtung Camp. Innerlich bastelte sie bereits an einer, wenigstens halbwegs glaubwürdigen Ausrede, wieso sie das Mittagessen versäumt hatte und machte sich auf einen Anpfiff der Superlative gefasst.
Flackernder Feuerschein erhellte den Abend, als Mia den ersten Schritt auf den sandigen Boden des Feriencamps setzte. Erstaunt hob sie den Kopf und nahm die Ausmaße eines riesigen Lagerfeuers wahr. Flammen züngelten im lauen Abendwind und Abermillionen winziger Fünkchen tanzten wie Glühwürmchen durch das Dunkel. Es roch nach Holz und Wärme. Ein Knistern durchbrach die abendliche Stille und verbreitete ein heimeliges Gefühl. Einige der Jugendlichen saßen in kleinen Grüppchen zusammen und unterhielten sich leise, so als wollten sie die entspannte Atmosphäre nicht mit hektischen Lauten oder kindlichem Gekreische stören. Wieder andere hatten sich auf den Steinen niedergelassen, die das Holzfeuer säumten. Sie hielten lange Stöcke ins Feuer, um die sich ein heller Teig wand. Stockbrot! Bei dem Anblick lief Mia das Wasser im Mund zusammen. Immerhin war ihre letzte Mahlzeit etliche Stunden her. Auf leisen Sohlen mischte sie sich unters Volk. Nur nicht auffallen, lautete die Devise. Immerhin hatte sie nicht vor, durch Ungeschicktheit Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Mia gab sich alle Mühe, so zu tun, als sei sie nicht eben erst zu der Gruppe gestoßen. Mit flackerndem Herzschlag und wackeligen Knien ließ sie sich auf einem kleinen Stein nieder. Doch die Aufregung und Sorge, der Campleiter könnte sie mit einer Litanei an Strafen für unerlaubtes Fernbleiben erwarten, erwies sich als völlig unbegründet. Niemand nahm Notiz von ihr.
»Na? Auch Lust auf ein bisschen frisches Brot?«
Ein hochgeschossener Junge mit hellen Haaren und dutzenden Sommersprossen im Gesicht stand vor ihr und hielt ihr einen mit Teig umwickelten Stock unter die Nase.
»Ja gerne!« Dankbar ergriff Mia das Holz und hielt es geradewegs in den hellen Flammenschein. Einige Minuten später verströmte es bereits einen herrlichen Duft, bei dem Mia das Wasser im Mund zusammen lief. Langsam nahm sie das Holz aus dem Feuer und pustete über den gebackenen Teig. Vorsichtig biss sie hinein. Es schmeckte einzigartig!
»Lecker, oder?«, sagte der Junge, dem sie diese Leckerei zu verdanken hatte.
»Ja, es ist ausgezeichnet. Danke, noch mal!«
»Kein Problem, ich bin übrigens Felix. Ich bin eine
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