Seelenfaenger - Deine Liebe raubt dir den Verstand
Nachdenken. Sie dachte an ihre erste Begegnung mit den Zwillingen.
Ihr fiel Aleksanders arroganter Auftritt im Park ein. Und sie schwelgte in Erinnerungen an ihre gemeinsam verbrachte Nacht, auch wenn diese so harmlos und unschuldig verlaufen war wie ein Kindergeburtstag.
Mia sinnierte auch über das Erlebnis mit Nathan. Doch hierfür fand sie einfach keine schlüssige Erklärung. Das weiße Licht tat sie im Nachhinein als Luftspiegelung ab. Vielleicht eine Nebelschwade, in der sich das grelle Sonnenlicht verfangen hatte.
Am Morgen der Abfahrt trat Mia zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr vom Outdoor-Trip wieder nach draußen. Das helle Licht brachte ihre Augen zum Tränen und der Schmerz im Kopf begann aufs Neue zu wummern.
Doch im Vergleich zu den letzten paar Tagen hatte er sich auf ein Minimum dessen, was auszuhalten war, reduziert.
Als der Bus einrollte, stellte sie freudig fest, dass es sich nicht um das altersschwache Gefährt von der Hinfahrt handelte, sondern um einen äußerst modernen, sogar mit Fernseher ausgestatteten Reisebus.
Mia stieg als eine der Ersten in das Gefährt und entschied sich für einen Sitzplatz im hinteren Drittel. Gedankenverloren starrte sie aus dem Fenster, als die Zwillinge aus der Blockhütte traten. Unwillkürlich setzte sich Mia kerzengerade hin und linste durch die Lücke zwischen den beiden Sitzen vor sich. Sie verabscheute sich für ihre kindische Hoffnung, Aleksander könnte sich neben sie setzen.
Mit pochendem Herzen und Magenflattern beobachtete sie, wie die Brüder in den Bus glitten. Nathan suchte sich relativ weit vorne einen Fensterplatz. Der Sitz neben ihm blieb nicht lange leer. Kaum hatte er sich niedergesetzt, hockte sich eine zierliche Blondine neben ihn, die ihn mit Blicken verschlang.
Aleksander ging durch den schmalen Gang in den hinteren Teil des Busses.
Seine Augen blieben kurz an Mia hängen und an dem leeren Platz neben ihr. Doch dann drehte er um und ließ sich zwei Reihen vor ihr nieder.
Mia sackte enttäuscht in sich zusammen. Und als hätte sie es geahnt, schwebte fünf Minuten später Dana herein und nahm den Plüschsitz neben Aleksander in Beschlag. In diesem Moment wünschte sich Mia, dass die Rollen vertauscht wären und es nicht Hanna war, die mit einem Nervenzusammenbruch im Krankenhaus lag, sondern Dana.
Nervenzusammenbruch?
In Mias Kopf schrillten plötzlich die Alarmglocken:
Die verlängerten Sommerferien…
Die sechs Mädchen…
Thea …
Psychiatrie!
Mia kniff die Lippen zusammen und verbot sich strikt, ihre Überlegungen zu Ende zu führen. Sie wollte nicht erneut durch bloße Mutmaßungen andere Menschen in Bedrängnis bringen. Wahrscheinlich handelte es sich nur um einen dummen Zufall. Immerhin hatte Hanna einsam im tiefsten Wald ein schweres Unwetter miterlebt. Da konnte es schon mal passieren, dass man völlig austickte.
Oder?
Mia ließ eine imaginäre Falltür in ihrem Gehirn nach unten fallen und konzentrierte sich auf die Musterung des Bussitzes.
Pünktlich um halb zehn verließ der Bus ruckelnd den Campingplatz. Der Sitz neben ihr war nach wie vor unbesetzt.
Mia weinte dem Camp keine Träne hinterher. Im Gegenteil, sie freute sich wie wahnsinnig auf zu Hause. Sogar der Umstand, dass das Ziel nur Schwarzendorf und nicht Berlin hieß, tat ihrer Freude keinen Abbruch.
Sie sehnte sich nach ihrer Mum und ihrem Dad. Nach ihrem eigenen Zimmer. Und vor allem freute sie sich auf ihr Bett, frische Klamotten und ein ausgedehntes Bad.
Mia stöpselte sich die Kopfhörer des I-Pods in die Ohren, der dank wasserundurchlässigem Rucksackfach das Unwetter auf dem Berg heil überstanden hatte.
Mia ließ sich von »Unheilig« davontragen. Mit leerem Blick starrte sie auf die vorbeiziehende Landschaft.
Gegen Mittag hielt der Bus auf einem Rastplatz. Nach einem Toilettengang erstand Mia ein belegtes Brötchen und eine Flasche Wasser. Danach stieg sie umgehend wieder in den Bus. Nach sinnlosem Palavern mit den anderen Jugendlichen stand ihr nicht der Sinn. Sie drückte sich ihre Stöpsel wieder in die Ohren, lehnte den Kopf an die Scheibe und kaute gelangweilt auf dem faden Sandwich herum.
Etwas plumpste neben sie auf den Sitz und schreckte Mia aus ihrer Lethargie.
»Okay, lass uns reden!«, sagte Aleksander und grinste sie verschmitzt an.
Mia blieb vor Schreck und Überraschung das Brötchen im Halse stecken. Sie begann fürchterlich zu husten und zu würgen.
Aleksander schlug ihr gutmütig auf
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